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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

macht St. Paulus auch den Fortschritt unsers christlichen Wandels abhängig. Dieser soll sein „würdig des HErrn zu allem Wohlgefallen.“ Geh an die Königshöfe oder sonst in die Häuser vornehmer, hochgestellter Menschen, was bemerkst du an den Dienern, den Bedienten und Beamten? Ich denke der Herren verschiedene Art: sie benehmen sich ihrer Herren würdig. Je größer der HErr, desto würdevoller erscheint auch der Diener; je heiliger und edler – oder je schlechter und gemeiner seine Lebensart ist, desto klarer und unverholener werden auch die Diener Gutes oder Böses an sich und ihrem Wandel hervortreten laßen. Da nun zweifelsohne JEsus Christus der Herren HErr, der Gottessohn und unser hochgelobter Gott, der Allmächtige und Heilige, aber auch der Mittler und Erlöser der Welt, der gute Hirte aller Seiner Schafe ist: so wird auch in uns, Seinen Dienern, Seine einzige, eben so große als leutselige Weise sich aussprechen: heilig, würdig – und doch sanftmüthig und demüthig werden wir Ihm nachwandeln, – von Herzen die Seinigen sein, und voll Eifer und Fleiß, in allen Stücken Seinen Willen zu treffen, wird es uns auch glücken, Seiner würdig, zu allem Seinem Wohlgefallen zu wandeln. Ich weiß mir, theure Brüder, kaum einen Ausdruck, der schöner und edler das Christenleben schilderte, als den unsers Textes „würdig des HErrn zu allem Wohlgefallen“; der große, feine Blick und Sinn St. Pauli hat ganz getroffen, was er für die Colosser beten mußte, – als was er auch für uns Arme beten mußte, wenn er uns gewußt und gekannt hätte. Ach, „würdig des HErrn, dem HErrn zu allem Gefallen“, so möchte ich leben, so möchte ich, daß ihr alle lebtet!

 Bis hieher, meine theuern Brüder, geht derjenige Theil des Gebetes Pauli für die Colosser, welchen ich den allgemeinen genannt habe. Es versteht sich dabei von selbst, daß St. Paul nicht daran dachte, gerade so zu schreiben, daß hernach ein Pfarrer den Text wohl abtheilen könnte. Er schrieb dahin nach dem Zuge des Geistes, der in ihm war; und wie in der Natur oft der Fortschritt eingehüllt ist, so ist auch im Worte des Geistes bei aller heiligen, wundervollen und musterhaften Ordnung der Gedanken doch nicht grade alles nach deinem Maße und deiner Meßschnur gemeßen und abgetheilt. Ich erinnere daran, weil auch die ersten Worte der nun folgenden Gedanken Pauli allgemeinerer Art sind und erst allmählich das Besondere hervortritt.

 So schließt sich an die Worte Pauli „würdig des HErrn, zu allem Wohlgefallen“ übergangsmäßig und recht harmonisch der Ausdruck an: „in allem guten Werke fruchtbar und wachsend (zunehmend) in der Erkenntnis Gottes.“ Denk an den ersten Psalm und seine Seligpreisung der Heiligen. „Sie sind wie ein Baum, heißt es, gepflanzt an Waßerbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht.“ Wenn die Seele an den Waßern des göttlichen Wortes wohnt und des Wortes Sinn und Geist sie und alle ihre Kräfte und Vermögen durchdringt, die fromme, heilige, schöne innere und äußere Bildung immer mehr gedeiht, dann mangelt dem herrlichen Zustande auch nicht die Mannigfaltigkeit der äußeren Erweisungen: dem guten Baume mangeln die Früchte nicht, er wird reich, wie ein Apfelbaum im Herbste, wie der Weinstock, wenn er seine gesegnete Jahreszeit erlebt hat, an allerlei Beweis der in ihm lebenden Gnaden und Gnadenkraft. Keine Vollendung ohne äußere Werke! Glaub es nicht, Bruder, daß einer in einem heiligen Zustande lebt, wenn er äußerlich nicht reich ist an guten Werken! Es muß erkannt werden an Früchten der gut gewordene Baum; darum schon ist es gefüget, daß er nicht anders kann als Früchte, reiche Aernte seinen Brüdern bringen. – Ist aber innerlich der rechte Zustand, das volle Gedeihen vorhanden, und äußerlich die Aernte guter Werke da, dann hat man auch die Hoffnung und Erfahrung immer reicherer Erkenntnis Gottes. Gute Werke, von innen heraus gewirket, je länger je mehr mit vollem Bewußtsein wie aus vollem Triebe hervorreifend, sind nicht bloß etwas Aeußerliches, welches wie ein reifer Apfel vom Baum fällt; sie sind Thaten und Ergebnisse einer Lebenserfahrung, die selbst lebensvoll ist und einen Einfluß auf das innere Leben hat. Je mehr Früchte du bringst, je schöner und reifer sie dir gelingen, desto mehr wird deiner Seele Gottes gnadenreiche Hilfe klar, Seine Nähe, Seine Kraft wird erkannt, und du wirst je länger je reifer in der Erkenntnis des Wesens selbst, welches in dir wirkt und webt. Fleiß der Heiligen in guten Werken ist ein Erfahrungsweg göttlicher Nähe und Hilfe, auf welchem die Seele auf Gott, ihren himmlischen Genoßen,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/538&oldid=- (Version vom 1.8.2018)