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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

werden, was nicht geboren ist,“ aber sie deuten ihn aufs mildeste, und nehmen für geboren, was in der Geburt steht und nur durch zufällige Dinge gehindert ist, aus Mutterleib zu treten. Es ist ihnen die Taufe zu wichtig, als daß sie nicht wo möglich jedem Kindlein angedient werden müßte. Auch bei dem gesunden Kinde schiebt der vorsichtige und weise Vater die Taufe nicht auf. Diesen Morgen ist es geboren, und siehe schon in der ersten Vesperstunde des Geburtstages tritt es seine Reise auf dem Arme des Pathen oder der Amme an. Sonst reist man bei schlechtem Wetter nicht, aber von dieser Reise hält billig kein Wetter ab, keine Kälte, kein Sturm, kein Fluß, kein Regenstrom, kein See: eingehüllt in feiernde Gewänder, geschützt nach Möglichkeit, im Vertrauen auf Gott und den Dienst Seiner heiligen Engel, schifft und fährt und trägt man das zarte Kind zum Hause Gottes, daß es getauft werde. Dabei freut sich das Herz des Vaters, der dem Zuge voranschreitet, und das Herz der Mutter, die daheim auf dem Lager liegt. Die Pathen gehen freudig betend und opfernd, das Glöcklein klingt, der Priester wartet auf den jungen Täufling unter der Pforte des Gotteshauses, ruft ihm ein freudiges: „Der HErr segne deinen Eingang und Ausgang“ zu, und vollzieht an ihm die heilige, von Gott befohlene, segensreiche Handlung. Dann trägt man jubilirend, milde Gaben spendend, der Mutter das Kind heim, das nun zum zweitenmale gefunden und geboren ist, und der heimkehrende Vater bekennt mit Dank und Lob zu Gott: Heute ist meinem Hause Heil widerfahren. Wahrlich, aus alle dem sollte man nun schließen, daß auch der Nachklang der Taufe nicht fehlen, und daß in dem weiteren Leben Gedächtnis, Lob und Preis der Taufe nicht verstummen werde. Aber welch’ ein Widerspruch! Wenn die Kirche keine Firmung, keine Erneuerung und Bestätigung des Taufbunds feierte und ihre heranwachsenden Kindlein nicht anleitete, öffentlich, feierlich vor der ganzen Gemeinde, das Werk der Pathen zu bestätigen, wenn sie nicht die Confirmanden anleitete, bei dieser Gelegenheit den Pathen Dank zu sagen, so würde damit vielleicht geradezu alles Gedächtnis der empfangenen Taufe bei dem Getauften vollends verlöschen, so gar wenig ist die Rede von Taufe und Segen der Taufe im spätern Leben.

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 Ja die Diener der Kirche selber, wie selten finden sie sich veranlaßt, und noch seltener innerlich getrieben, in ihren öffentlichen Vorträgen der Taufe zu gedenken. Ein Diener Christi in Amerika hat in den gedruckten Postillen der Kirche die Zeilen gezählt, in welchen der Taufe Erwähnung geschieht, und in der That, es ist eine Schande, wie selten und kurz auch in den besten Büchern der Taufe gedacht wird. Die Diener Christi scheinen es zu vergeßen, daß ihre Gemeinden getauft sind. Wie Heiden werden die Getauften angeredet, als hätten sie mit der Taufe gar nichts empfangen, als wäre die Taufe eine rein äußerliche Handlung, ein Abthun des Unflaths am Fleische. Sie sollen erst wiedergeboren werden, als ob man vergeßen hätte, oder selbst nicht glaubte, was doch die Kirche lehrt, daß ein Kind, welches bei der Taufe der Gnade nicht zu widerstehen vermag, durch die Taufe wiedergeboren wird. Auch weiß so selten ein Prediger die Gemeinden aufmerksam zu machen, daß sie vermöge der heiligen Taufe den Geist Gottes und Lebenskräfte bereits haben, die sie versäumen und veruntreuen, aber auch sich und andern zum Heile treulich anwenden können. Es wird nicht gepredigt, daß der Getaufte eine ganz andre Verantwortung habe, als der Ungetaufte, wenn er Böses thut, statt Gutes, nicht gesagt, daß er Gutes thun kann. Von der Ohnmacht der menschlichen Natur wird genug gepredigt, bis daß die getaufte Menge sich mit solcher Predigt entschuldigt. Statt deßen sollte es aber bei dem Getauften heißen: „ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus,“ und dem getauften Volke sollte oft und viel der Schatz gezeigt werden, der ihm in der Taufe beigelegt ist, der Himmel voll Seligkeit, welchen man darinnen besitzt, aber auch die unterste Hölle, in welche hinabstürzt, wer solchen Schatz verachtet. Damit nun nicht auch ich mit schuldig werde an solch schmählicher Vergeßenheit des heiligen Sakramentes, so stelle ich mich heute neben die Krippe unsers HErrn, den Finger auf dem Hauptsatz meines Textes, und will in Gottes Namen bei euch und von euch verbunden wißen das Andenken an die Geburt Christi und das an eure Taufe. Ich behaupte, daß aller Segen der Geburt des HErrn, ja alles Verdienst Seines Leidens und Sterbens samt aller Kraft Seiner Auferstehung in die Taufe niedergelegt ist, daß Christus für euch nicht mehr in der Krippe, sondern im Waßer der Taufe liegt, daß die Krippe leer

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 047. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/54&oldid=- (Version vom 1.8.2018)