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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

zu thun übrig, und wir haben Ursache, für uns und andere den heiligen Geist anzurufen, der in alle Wahrheit leiten kann und wird. Bis der HErr Licht und Sieg der Wahrheit gegeben haben wird, ziemt uns Prüfen, Stillesein und Warten, auf Gottes Wort allein sehen und nicht zweifeln, daß Recht doch Recht bleiben muß, und daß ihm endlich alle frommen Herzen zufallen müßen. Was hilft zur Klärung leidenschaftlicher Streit? Hindert er nicht den Frieden und die Liebe? Alles vereinige sich zum Forschen, keiner überschätze die eigene Meinung, gegenseitig vereinige man sich zum Gehorsam gegen die Wahrheit, und der HErr wird mit Seiner Gnade und Seinem Segen und Siege nicht ferne sein. Zumal bis man selbst klar ist, vertrage man andere; ja man vertrage sie, auch wenn man klar geworden ist – den Heiligen Gottes ziemt viel Geduld. Es kommt am Ende auch weniger darauf an, ob man die erste oder zweite Zukunft zunächst zu erwarten habe; sondern man warte nur, warte nur auf Ihn und sei versichert, daß viele die Zukunft hell und selig finden werden, auch solche, die sie hier nur wie eine dunkle, finstere Wolke vor sich sahen. – Warten, auf den HErrn warten, ernstlich warten, das ist allen, allen nöthig. Der HErr kommt, das sagen alle, die einen wie die andern; das bleibe fest, das andere möge der Geist aufhellen, je länger je mehr; wir aber wollen Seiner Führung ergeben sein und bleiben, bis unsre Nacht keine Finsternis mehr hat und wir alles im Lichte sehen.

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 Wenn wir nun weiter gehen, um zu erkennen, wie St. Paulus die dargelegte Hoffnung zum Troste an Gräbern anwendet; so kann es uns fürs Erste auffallend sein, daß er vom Zustande der vom Leibe abgeschiedenen Christenseelen gar nichts sagt. Ueberhaupt ist das ewige Leben der Seele im Neuen Testamente als eine so unzweifelige Thatsache vorausgesetzt, daß nirgends ein Beweis für das Fortleben der nach dem Tode übrig bleibenden Seele geführt, sondern durchweg angenommen wird, kein Mensch werde das anlangend auch nur den geringsten Anstand haben. Unser Unglück von Jugend auf ist gewesen, daß wir nicht bloß Beweise vom Dasein und Fortleben der Seele, sondern sogar vom Dasein Gottes, in Schulen und in Gesprächen hinnehmen mußten, die eine umgekehrte Wirkung auf uns machten, als die beabsichtigte. Das Geschlecht ist im Innersten des Glaubens gerade durch diese armen Beweise erschüttert worden. Wenn dem Menschen nach so vielen Jahrtausenden, welche sein Geschlecht auf Erden durchlebt hat, erst noch dergleichen bewiesen werden muß; so ist ja gar nicht die Frage, welche Religion die rechte sei, sondern ob es eine gebe, ob eine möglich sei? Da ist dann freilich noch weit hin bis zu der felsenfesten Gewisheit eines Apostels, daß der Tod des Einen JEsus am Kreuze eine Quelle, ich sage hier nicht ewigen Lebens, sondern ewiger Seligkeit sei. Wer daher an den Gräbern der Seinigen den Beweis für die Fortdauer der Seele als Trost verlangt, und bei jedem hinfallenden Leibesleben aufs neue in die Verlegenheit kommt, was er nun, nachdem der Leib im Grabe liegt, von der armen Seele halten soll, der frage nur keinen Apostel, nur nicht die heilige Schrift. Man kann bei jedem Verse des göttlichen Wortes den Beweis führen, daß die heiligen Schreiber von dem Fortleben der Seele vollkommen überzeugt waren; aber sie geben nirgends einen Beweis, wie ihn das ungläubige Volk des achtzehnten oder neunzehnten Jahrhunderts verlangt. – Eben so wenig ist demjenigen eine Befriedigung aus dem göttlichen Worte zu versprechen, der die Frage aufwirft, ob sein ungläubiger Verwandter oder einer, von deßen Glauben oder Unglauben er keine rechte Ueberzeugung gewonnen hat, selig geworden sei oder nicht. Wenn man es von einem Getauften gewis wißen kann, daß er im Unglauben gestorben ist; wenn man das wißen kann, sage ich, dann ists mit dem Trost am Ende; wer wirklich im Unglauben dahin fuhr, ist ewig unglückselig, er ist verloren. Wo man aber des Glaubens keinen sichern Beweis hat, da gibt es auch keinen sichern Trost. Der Trost hängt am Glauben; nicht am Grade des Glaubens, der so sehr verschieden ist, sondern an des Glaubens Leben und Dasein. Der Apostel sagt ganz einfach Vers 14: „So wir glauben, daß JEsus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott die, welche durch JEsum entschlafen sind, eben so mit Ihm führen.“ Man muß an Christi Tod und Auferstehung glauben, man muß durch JEsum entschlafen, durch Ihn zur Todesruhe und zum Grabesbette gebracht werden, in Seinem Reiche sterben, wenn man für sich Todestrost haben soll, –

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/545&oldid=- (Version vom 1.8.2018)