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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

heutigen Epistel gespannt, doch auch den ersten Theil derselben nicht völlig übersehen, in ihm die Gegenwart der thessalonichischen Gemeinde, freilich eine nunmehr längst vergangene Gegenwart, und dann erst jene Zukunft betrachten, von der am Schluße des Textes die Rede ist, und die für uns, wie damals für die Thessalonicher, noch ganz in gleicher Weise ein Ziel der Hoffnung und Erwartung ist.

 Der erste Theil unsers Textes dankt also, wie auch die Eingänge anderer paulinischen Briefe. Die Ursache des Dankes aber wird als eine dreifache angegeben: Glaube, Liebe und Geduld, so heißt die dreifache Ursache des Dankes. – Der zweite Brief an die Thessalonicher ist bald nach dem ersten geschrieben. Schon im ersten dankte der Apostel für die dreifache Gabe, die wir nannten; im zweiten spricht er sich in gleichem Sinne dankbar aus, nur daß sein Dank ein erhöhter ist. Die Thessalonicher hatten in der kurzen Zwischenzeit von der hohen Gabe ein viel reicheres Maß empfangen. „Euer Glaube wächst sehr, die Liebe eines jeglichen unter euch allen nimmt zu gegen einander“, ruft St. Paulus. „Wir rühmen uns euer unter den Gemeinen Gottes von eurer Geduld und Glauben.“ In so hohem Tone darf St. Paulus von den Thessalonichern reden. Da es nun also ist, dürfen wir uns auch nicht verwundern, wenn er den Ausdruck braucht: „Wir sollen (oder müßen) Gott danken allezeit um euch, lieben Brüder, wie es billig ist.“ Das Zunehmen aller geistlichen Gaben und Tugenden in der Gemeinde von Thessalonich ist so außerordentlich, daß der Dank zur Pflicht wird, daß es nicht anders, als recht und billig ist, für sie zu danken. Da heißt es eben auch, wie die Kirche in ihren Präfationen singt: „Wahrhaft würdig und recht, billig und heilsam ist es, daß wir Dir HErr, heiliger, allmächtiger Vater überall und allezeit danken.“

 Bei diesem alles Dankes werthen Zustande der Thessalonicher ist Eines hervorstechend, nämlich daß die Thessalonicher besonders wegen ihrer „Geduld in allen Verfolgungen und Trübsalen“ gerühmt werden, besonders dadurch zu Lob und Dank des Apostels Anlaß geben. Die Thessalonicher wuchsen an allen Tugenden unter großen Hindernissen, trugen Christo das Kreuz nach, litten hinter Ihm, dem Herzog der heiligen Bekenner, her, wurden Sein und Seines Kreuzweges nicht müde. Ihre Geduld und ihr Glaube streckten sich einem ernsten, männlichen Wesen entgegen und erstarkten in dem Maße, in welchem ihnen eine gestrenge Uebung nach der andern auferlegt und zugemuthet wurde. Wenn die Leidenshitze vom Himmel fällt, verdorrt manches Kraut, weil es nicht Saft hat, nicht tiefe Wurzeln schlagen konnte; aber die Thessalonicher waren glücklicher gepflanzt, an Waßerbächen, und je brennender die Hitze herunter fiel, desto tiefer griffen sie nach dem Zufluße des guten Landes, in dem sie standen, und zogen aus den offenen Brunnen der Wunden JEsu neue Kraft. Allerdings eine seltene Treue, ein seltener Glaube, eine seltene Geduld, – ein seltenes Beispiel, welches gerade in den Thessalonichern uns vorleuchtet, die wir bei wenigen und kleinen Leiden dennoch oftmals so ungeduldig werden und ein Leben für bedauernswerth und unglücklich zu halten pflegen, welches mit Kreuz und Leiden gesegnet ist.

 In den ersten Tagen des Evangeliums trat das Heidentum zu demselben wenig in Gegensatz, ja auch das Judentum wenig. Der Heide war geneigt, alle Religionen gelten zu laßen, was sie konnten und wurde ein Gegner der christlichen Religion erst dann, als er ihren Anspruch, die allein wahre zu sein, an die Stelle aller zu treten, erkannte. Diese Erkenntnis aber kam den Heiden in der apostolischen Zeit, wie es scheint, seltener; späterhin drängte sie sich ihnen immer mehr auf und wirkte dann die sogenannten zehen großen Verfolgungen der römischen Kaiser. Auch die Juden waren geneigt, das Christentum als eine jüdische Richtung gelten zu laßen. So lange der Tempel stand und auch die Christen sich zum Tempel hielten, konnte es ja kommen, daß Jakobus, der Gerechte, der vom Altertum hochgefeierte erste Bischof von Jerusalem, ein Verwandter JEsu, auch bei den Juden hohe Anerkennung fand. Aber die paulinische Richtung, die – schon in den Tagen des Erzmärtyrers Stephanus, des eigentlichen Vorläufers Pauli, deßen Geist und Erbe auf Paulum übergieng – den Fall und das Ende des jüdischen Tempels und alles Judentums weißagte, die dem Gesetze keinen Theil an dem ewigen Heile des Menschen laßen wollte; allein aus Gnaden, allein durch JEsum, allein durch Glauben selig werden lehrte, –

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/549&oldid=- (Version vom 1.8.2018)