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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gottes. So aber zuerst an uns, was will es für ein Ende werden mit denen, die dem Evangelio Gottes nicht glauben?“ Also es ist ein allgemeines Gericht Gottes vorhanden. Den Anfang davon macht aber der HErr mit Seinen Liebsten, Seinem Hause, Seinen Kindern. Sind diese gestraft, so geht er zu den Feinden über. Die Kinder straft er in der Zeit der streitenden Kirche, für sie heißt es: „die Zeit ist da, daß wir gestraft werden“. Da beugt man sich dann selbst unter die Leiden, die man um Christi willen leidet, mit der doppelten Ueberzeugung, daß die Leiden Christo und uns Ehre sind und daß wir zugleich eine gestrenge Ahndung unserer Sünden empfangen. Diese doppelte Ueberzeugung soll und muß sogar vorhanden sein, keine allein gibt unsrer Seele die rechte Verfaßung: gehoben durch die Ehre, für Christum und Sein Wort zu leiden, gedemüthigt durch die Ueberzeugung, daß eine ernste Ahndung unsrer Sünde dem Leiden beigemischt ist, – gehoben und gedemüthigt, groß und klein zugleich, gehen wir dahin, und unser Herz wird gerade so am meisten vorbereitet für die Auffaßung der hohen Lehre, daß sich alles herrlich wenden und unser Gericht hinausgehen werde zum Siege. Das Gericht über uns wird endlich ein Sieg für uns werden, denn die Ahndung unsrer Sünde ist zeitlich und nimmt ein Ende, wir werden gereinigt aus ihr hervorgehen; die Feinde Christi aber werden unterliegen und gestraft werden. Dieser Doppelgedanke unsers Sieges und des Unterliegens unsrer Feinde liegt nun auf der von mir sogenannten Schwelle zwischen Anfang und Ende unserer Epistel. Ihr leidet, sagt St. Paulus, das ist ein Anzeichen, ein Vorzeichen, „daß Gott recht richten wird, – und ihr würdig werdet zum Reiche Gottes, über welchem ihr euch leidet, – nachdem es recht ist bei Gott, zu vergelten Trübsal denen, die euch Trübsal anlegen, euch aber, die ihr Trübsal leidet, Ruhe mit uns, wenn nun der HErr JEsus wird geoffenbart werden vom Himmel.“ – Große Lehre von der Gerechtigkeit des HErrn! Es ist dem Christen so leicht, von der Gerechtigkeit Gottes abzusehen und ihre Verherrlichung nicht zu begehren, weil er ja rein aus Gnaden und Barmherzigkeit lebt. So barmherzig ist Gott gegen uns, daß die Gerechtigkeit in unsern Augen zurücktritt. Und doch ist dieses Zurücktreten der Gerechtigkeit, dies alleinige Bedenken und Betrachten der Gnade ein Zeichen unvollkommener Auffaßung der Wege Gottes. Von dem Kreuze auf Golgatha bis zu den Feuerzeichen des jüngsten Tages ist das Christentum und seine Geschichte eine Vereinigung der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Scheinen sich beide zu widersprechen, wißen wir sie nicht zu vereinigen: Gott wußte und weiß es, und Sein großes Lob im Leben und in der Geschichte der Welt wie der Kirche heißt: „Gerecht und barmherzig ist der HErr“. Darum schreien auch die Seelen der heiligen Märtyrer unter dem Altare um Gerechtigkeit und Rache, als um die Vollendung der Geschichte, und wer unter uns irgend nach Vollkommenheit trachtet, muß lernen, sich in Barmherzigkeit hüllen und um Gerechtigkeit beten. Bei solchem Sinne versteht man dann auch Texte, wie den heutigen, welcher den Thessalonichern wie zum Trost in ihren Leiden die schrecklichen Gerichte Gottes über die Welt verheißt. Der schwächliche Christ weiß nicht, wie er das vereinigen soll, was St. Paulus zusammenfüget: Qual der Verdammten, ewiges Verderben – und Ruhe, Erquickung der Heiligen. Lazarus gegenüber der offenen Hölle scheint gar keine Ruhe haben und finden zu können. Seine gerechte Ruhe und die gerechte Strafe des Reichen scheinen sich zu widersprechen, die Ruhe gestört zu werden durch die Aussicht auf fremde Qual. Das scheint aber nur, – es scheint nur dem schwächlichen Sinn und Gefühl jetziger Christen so. Da Gott gerecht ist, gerecht im Gnadenlohne (so barmherzig Er dabei ist), gerecht in der Strafe; so faßen Apostel beiderlei Gerechtigkeit – und wer ihnen nachwandelt, der sehnt sich wenigstens, den Gegensatz des Gerichts und der Barmherzigkeit, des Lohnes und der Strafe zu ertragen, und mit den heiligen Märtyrern unter dem Altare um Rache beten zu können, während doch Liebe und Friede und Erquickung die Tiefe des Geistes bewegt. – Laßet uns nun die Schwelle der Gerechtigkeit verlaßen und zum Schluß noch die Wiederkunft Christi und ihren furchtbaren Ernst betrachten, wie er im Texte vorliegt. Der HErr und Sein Geist verleihe uns, auf diese Weise würdig des Kirchenjahres Ende mit dem Gedächtnis des Endes der Zeit zu begehen.

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 Es ist eine majestätische Erscheinung, welche

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/551&oldid=- (Version vom 1.8.2018)