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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

damit hat man aber doch ausgesprochen, daß ein Schatz vorhanden sein müße, auch wenn er nicht gehoben wird, daß die Taufe ihr Werk verrichte auf alle Fälle und in allen Fällen, in welchen nicht der Unglaube und Unwille des Täuflings den Geist Gottes an seiner Wirkung hindert. Diese Wirkung selbst aber, so wenig sie erscheine und in die Sinne trete, ist eben jene Wiedergeburt und Erneuerung, von welcher St. Paulus redet. Sie ist nicht etwa ein Glaubensartikel in dem Sinn, in welchem der Unglaube von Glaubensartikeln spricht. Der nennt Artikel des Glaubens alles, was er nicht glaubt und für wahr hält, was auf der puren Meinung und Einbildung des Gläubigen beruht. Sie ist etwas wahres und wesenhaftes, eine wirkliche Erneuerung, vor Gott wahr und gewis, folgen- und wirkungsreich für Zeit und Ewigkeit, nur der sinnlichen Wahrnehmung entzogen, ein Schatz, den uns Gott verbürgt, den uns alle Teufel beneiden, aber die ganze Hölle nicht entwenden kann, wenn wir nicht wollen. Wenn die unsichtbaren Dinge das Gesetz ihres Daseins verändern und sichtbar erscheinen würden, so würden wir unter der Taufe, die wahrhaftige und wesentliche Veränderung vorgehen sehen, sehen, wie unsrem gesammten Wesen ein unaustilgbarer Charakter und Stempel aufgeprägt wird. Es gehen viele Getaufte trotz ihrer Taufe und Wiedergeburt verloren, mancher Judas erbt statt ewiger Herrlichkeit eine ewige unglückselige Schmach, aber auch die Flammen der tiefsten Hölle werden keinem Getauften das Zeichen und die Wurzel austilgen, welche er in seiner Taufe vom HErrn in der Absicht eines ewigen Glückes bekam. Es wird aus der Taufe der verdammten Seele und dereinst ihrem gleichverdammten Leibe besonderes, unaussprechliches Weh entstehen, und in diesem Weh sich noch offenbaren, welch eine wesentliche Veränderung in dem Menschen die Taufe hervorbringt. Und im Gegenteil wird es sich in der Seligkeit und Herrlichkeit aller Erlösten offenbaren, wie groß die Wirkung der Taufe ist. Dort wird man das Gewächs unsres Lebens von der Krone bis zur Wurzel überschauen können, und alle Seligkeit und Heiligkeit und Herrlichkeit wird im Zusammenhang mit unsrer Taufe erscheinen. Unser ganzer neuer Mensch, alles unser neues Leben wird als eine Wiedergeburt erscheinen, zu welcher sich der geheimnisvolle Anfang in der Taufe verhalten wird, wie die unmündige, unentwickelte Kindheit zur Vollkommenheit des Mannesalters, und wie der Quell zum Strome. Es ist dies Leben der Wiedergeburt und Erneuerung etwas übernatürliches, ein Ersatz aller Wunder und selbst das größte Wunder, nicht ein zweites Ich, aber in dem einen, das wir haben, ein neues Element und eine mächtige Arznei, welche aus Gnaden wiederherstellt, geistlich und ewig, herrlicher und schöner, was wir im Anfang der Creatur durch des Schöpfers Macht besaßen, nemlich Gottes heiliges Bild. Wie eine jede Gabe geweckt werden kann, so kann auch die größte aller Gaben, die Wirkung der Taufe, die Wiedergeburt, erweckt werden, erzogen werden, an’s Licht treten und so auch gesehen werden. Wer es versteht in der Erziehung anderer oder seiner selbst an die Taufe anzuknüpfen, durch Erkenntnis und gläubige Ergreifung ihre Waßer in die wüsten Felder unsers Lebens zu leiten, der kann sich, noch ehe er in das Land des Schauens kommt, die sichere Ueberzeugung verschaffen, daß die Taufgnade, und die Veränderung, die sie in uns wirkt, kein bloßer Name, sondern etwas wesenhaftes, ja ein Anfang aller unser Glaubens- und Lebens-Gerechtigkeit und unsrer Heiligung sei. „Es waren einmal auch wir unverständige, ungehorsame irrende Sklaven der Begierden und mannigfaltigen Lüste, hinlebend in Bosheit und Neid, voll Grimm und gegenseitigen Haßes,“ sagt St. Paulus: aber als „die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unseres HEilandes erschien, da errettete Er uns, nach Seiner Erbarmung, durch das Bad der Wiedergeburt, und Erneuerung im heiligen Geiste, auf daß wir gerechtfertigt durch Seine Gnade auch Erben würden des ewigen Lebens nach der Hoffnung.“ Gewaltige Veränderung, geheimnisvoll und doch wahrhaftig und folgenreich, erstaunenswerth für uns selber, die wir sie besitzen, eingehüllt in das Dunkel des gewöhnlichen Daseins, endlich aber so mächtig ausschlagend, daß sie uns auch zu Erben des ewigen Lebens macht.

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 Wir haben dem Waßerbade eine außerordentliche Wirkung zugeschrieben, und uns bemüht, diese Wirkung so viel als möglich in’s Licht zu stellen, wie uns dazu der heilige Paulus die Anleitung gibt. Durch den Gegensatz des Waßers und der Wirkung kann eine desto größere Verwunderung in dem Geiste

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 049. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/56&oldid=- (Version vom 1.8.2018)