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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Deinen Willen.“ O Du freiwilliges Lamm Gottes, Hosianna! Gebenedeit seist Du! Du kommst im Namen des HErrn.

 2. Auf Seinem Wege ist Frühling. Wohin Er tritt, blühen wunderbare, südliche Blumen, die nur unter Seinem heißen Liebeshauch gedeihen. Sein Todesweg ist großer Wunder voll. Seine Kreuze bezeichnen Seinen Kreuzgang. Er, der vom Gedanken eines Todes erfüllt ist, den du zu denken eben so unfähig, als zu leiden bist, – Er freut Sich nicht allein mit den Fröhlichen, sondern hat Selber Freud und Leben in Sich, von denen Er alle Welt sättigt. – Freudenmeister JEsu! Meine Augen schauen Deine Wunder auf dem Todeswege nicht. Aber sie, Deine Wunder, sind mir doch nicht Samenkörner in dem Kasten der Samenhändler, nein, sie wirken in mir, sie machen, weil sie über alle Zweifel erhaben sind, in meiner Seele Frühling Deiner Nähe!

 3. Aussätzige begegnen Ihm, stehen von ferne, als hätten sie fürchten müßen, Er werde durch ihre Nähe verunreinigt und angesteckt. Sie kennen Ihn nicht! Ihn hat nie ein Uebel ergriffen, als das Er freiwillig an Sich nahm. Er naht allem Elend, Ihm naht keines. Ich bin aussätzig, aber Du bist bei mir. Du tauschest mir Deine Reinigkeit, und sie verzehrt meine Krankheit. Ich nahe mich Dir, ich fürchte mich nicht, ich weiß, Du heilst, Du reinigst mich!

 4. Sie erheben ihre Stimme, sie rufen laut – und vermögens nicht. So groß ist ihre Krankheit, daß sie die Stimme heisch macht und das Rufen der Seele nicht hervorbrechen kann in den Laut der Sprache. Ach, wie oft, wie oft, JEsu, Sohn David’s, bin ich so elend, daß meine Freunde mein Rufen und meine Seele ihr Beten nicht vernimmt! Aber Dein Erbarmen ersetzt mein Schreien. Dein Erbarmen vernimmt mein Elend, wenn nicht meine Stimme. Sei mir ferner über Bitten, erbarme Dich meiner, o JEsu!

 5. Er scheint sie nicht zu erhören. Zum Priester, der die Pflicht hat, die Reingewordenen rein zu sprechen, sollen sie gehen, zu ihm den Aussatz tragen. Es ist, als wäre es alles verkehrt. Was wird der Priester sagen, wenn sie aussätzig kommen. – So bin auch ich voll Aussatzes meiner Seele, und Du willst, daß ich, im Gefühle meiner Krankheit, im Drucke meiner Sünden, glaube, der Richter im Tode und am jüngsten Tage werde mich absolviren. Du absolvirst mich hier, während ich meiner Sünden Schatten nicht los werden kann, und verheißest mir dort auch eine Absolution. Wunderbarer JEsu! Du bist mein Priester und mein Richter, – mein Arzt und mein Heil: ich glaube, daß ich rein sei durch Dein Blut – wider mein Fühlen, und freue mich, daß meine Füße durchs Leben die Pilgerstraße zur Heimath gehen, daß sie stehen sollen in Jerusalems Thoren. Ich gehe, mein HErr, ich gehorche im Glauben, und indem ich gehorche, werde ich meines Glaubens Kraft erfahren – hier zu beständigem Gehorsam, dort zur Ueberwindung des Gerichtes.

 6. Samariter – gehorchen hier, wie irgend Juden, – üben gemeine Liebe, wie nirgend Juden, – sind dankbar, wie Juden nicht. Laß mich allewege dieser Samariter Beispiel folgen! vor allem aber, o lieber HErr, laß mich dankbar sein. „Es ist ein köstlich Ding, dem HErrn danken.“ Es ist so süß, es ist ein Vorschmack des Himmels, danken. Bitten ist gut, aber Danken ist Lied im höheren Chor. Danken ist Seligkeit. Laß mich dankbar sein, Du treuer Gott, daß ich bei Dir behalten werde und nicht in Undank mein gewonnenes Heil verliere. Ach, daß Du Dich nicht über meinen Undank wundertest, sondern über meinen Dank! Daß ich hier und dort Dein dankbarer Samariter wäre!


Am fünfzehnten Sonntage nach Trinitatis.
Matth. 6, 24–34.

 ES ist unmöglich, eine Seele zu halbieren, – und eben so unmöglich ist es, die Liebe zu halbieren. Die Liebe und die Seele sind einfach und untheilbar. Es scheint wohl, als liebe Mancher zwei Dinge; aber genau besehen, liebt er doch nur Eins – und alles andere nur so viel, als es sich mit der Liebe zu dem Einen vereinigen läßt, – alles andere nur in der Liebe zu dem Einen. Nimm einem Liebereichen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/575&oldid=- (Version vom 1.8.2018)