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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

von Kirche und Gottesacker, und ich wäre nicht unter denen, welche auf Verlegung dringen. Was schadet der nahe Gottesacker dem Leibe? Ich denke, die sechs Schuh unter der Erde liegen, sind es nicht, welche die Luft der Lebenden verpesten. Und die Seele, sie möchte von der Ruhestatt der Todten Erinnerungen haben, welche dankenswerth sind!

 Doch ist es auch schön, wenn die Gottesäcker, wie in unserm Evangelium und überhaupt bei den Alten und im Morgenlande, vor den Wohnstätten der Lebendigen liegen. Da ist es so stille! Die Todten scheinen fast mehr vom Gewühle des zeitlichen Lebens getrennt, wenn über sie hin kein Fuß mehr in irdischen Geschäften eilt; sie scheinen himmlischer zu sein und ihre Ruhestätten scheinen mehr Vorhöfe des Himmels zu sein, wenn sie draußen sind, wo keiner sie heimsucht, als der ernstere Pilgrim. Die Trennung der Todten von den Lebendigen hat so viel Sinn, als die Vereinigung, und wenn ich im Glockenklang, mit Auferstehungsgesang durch die stillen Thore hineintrete, so ist meine Seele doch sabbathlicher gestimmt und Psalter und Harfe der Ewigkeit tönt mir viel kräftiger, als damals, da ich mitten unter den Wohnungen der Lebendigen das Grab für Gottes Samenkörner öffnete und schloß. Wenn die Frage nicht ist: „Soll man die alten Gottesäcker verlegen“, sondern: „Wohin soll man neue Gottesäcker anlegen“; so weise ich euch gen morgenwärts hinaus auf die Flur.

 Du schüttelst das Haupt, mein Leser, weil ich von Gottesäckern rede. Das „Weine nicht!“ des großen Helfers wünschest du mehr in die Seele gelegt. Das Wort: „ER gab ihn seiner Mutter wieder“ wünschest du gepriesen zu hören. Aber vergiß nicht, mein Freund, daß, was du zu hören wünschest, heut zu Tage gar oft und schön auf Gottesäckern wiederhallt. Nicht mehr an den Thoren Nains, der Stadt der Pilger, sondern auf dem Friedhof, dem Vorhof des Himmels, spricht heut zu Tage die Stimme des guten Hirten ihr „Weine nicht!“ Der HErr unterbricht die Leichenzüge nicht mehr. Sein „Weine nicht“ ist mächtig genug geworden, um am offenen Grabe zu trösten. Sie kommen mit ihrem Saatkorn und weinen laut. Es beginnt die himmlische Harmonie des Evangeliums – da weinen sie leiser. Es wird die Herrlichkeit der andern Welt, die unaussprechliche Liebe des HErrn, HErrn gepriesen, – immermehr wird die Tröstung zum Gloria, – zum „Friede auf Erden“, da versiegen die Zähren, die Augen blicken auf zum freien Himmel, die Hoffnung kommt in die Seele und anstatt des: „ER gab ihn seiner Mutter wieder“, rauscht es mit mächtigem, ahnungsvollem Ton über die Gräber: „Sie sollen wiederkommen“ und: „Deine Arbeit wird belohnt werden!“ (Jerem. 31, 15. 16.) da erweitert sich die Seele – und das Herz wird groß. Die Auferstehung der unsterblichen Kinder des Lebens wird ergriffen, und auch ein mütterliches Herz faßt es, daß die Kinder nicht genommen sind, nicht wiedergegeben zu werden brauchen, wenn sie im Frieden abgeschieden sind. – Friede sei mit deinen Mauern! Ehre sei in deinen Thoren, Gottesacker! Gegrüßt sei deine stille Schaar, die in tiefem Schweigen predigt! Gegrüßt sei von dir aus, Der da kommt vom Morgen und mit Ihm Sein Lohn. Gebenedeiet sei ER und Jerusalem, die man auf deinen Hügeln von ferne glänzen sieht!


Am siebzehnten Sonntage nach Trinitatis.
Luc. 14, 1–11.

 WElch einen Eindruck mag wohl der HERR in dem Vorgang unsers Evangeliums auf die Anwesenden gemacht haben. Mit dem Sabbathsgebote nahm Ers ihrer Meinung nach leichtsinnig und der Mann, der Sich in Wort und That als einen HErrn auch des Sabbaths zeigt, läßt Sich herunter, Tischregeln für Gastmahle zu geben. Sie werden vielleicht gesagt haben, nicht sie, sondern Er Selber seige Mücken und verschlucke Kameele. So kann immer einer dem andern von verschiedenen Standpunkten des Lebens denselben Vorwurf machen, und es kommt daher wie bei den Früchten auf den Baum, so bei den Urtheilen und Vorwürfen auf den Standpunkt an, will – sagen: auf das inwendige Geheimnis der Gesinnung. Wenn du das nicht fest hältst, mein Freund, so mache dich Gott ja nicht zum Richter,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/577&oldid=- (Version vom 1.8.2018)