Seite:Wilhelm Löhe - Epistel-Postille.pdf/583

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am dreiundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.
Matth. 22, 15–22.

 ISts Recht, daß man dem Kaiser Zins gebe oder nicht?“ Die Frage ist einfach, die Antwort auch. Beide sind einfach, nur nicht für Juden und Pharisäer. Sie erkannten Gott für ihren König, sich für Sein Volk, sie machten Anspruch, von aller Welt für Sein erwähltes Eigentum gehalten und als solches geehrt zu werden, es schien ihnen deshalb nicht allein Unrecht, daß der Kaiser ihr König sein wollte und als solchen sich bewies, sondern sie straften sich selber alle Tage dafür, daß sie nicht widerstrebten, daß sie dem Kaiser Zins gaben, unterthänig waren. Sie konnten nach menschlicher Einseitigkeit es nicht mit ihrer Pflicht gegen Gott vereinigen, daß sie gegen noch jemand eine Pflicht haben sollten. Weil sie Gott für ihren weltlichen König ansahen, so stand er für sie in einer Reihe mit dem Kaiser zu Rom. Es schien Untreue gegen jenen, wenn sie diesem dienten. Das war ihres Herzens Meinung, vielleicht die innerste die sie hatten, – und doch mußte sie ihnen zum Bösen dienen! Den zu verderben, der, ohne sie zu fragen, ein Messias sein wollte und offenbar war, mußte ihr innerster Seelenzweifel zur Falle geschmiedet werden. Sie wußten ganz wohl, daß irgend ein Entscheid mit Ja oder Nein gefährlich war. „Ja, es ist Recht“ – war eine Antwort, mit welcher man die Volksgunst verscherzte, an der ihnen und ihrer Meinung nach auch JEsu so viel gelegen war. „Nein, es ist nicht Recht“ – diesen Entscheid durfte man gar nicht wagen; denn er war Empörung gegen den Kaiser. Ueber dies Entweder-Oder klatschten sie in die Hände, eine Doppelfalle war gelegt, oder beßer zwei Fallen, um die zwei einzigen Auswege JEsu zu gefährden, die sie sahen. Aber so gehts! Wenn menschliche Beschränktheit zu Rathe sitzt, heißt es immer: „Beschließet einen Rath und wird nichts daraus.“ In der Klugheit hascht ER die Weisen. Sie sahen nur zwei Wege, nur Ja und Nein auf ihre Frage; bei JEsu war die ganze Frage falsch. Gott und Kaiser waren ungebührlich auf die Wahl gebracht und gleichgestellt; so stand die Frage bei JEsu gar nicht, sondern so: „Kann man dem Kaiser Zins geben, ohne Gott untreu zu werden?“ Und darauf war die einfache Antwort: „Ja, der Zins gehört dem Kaiser, und die Seele gehört Gott.“ Dem Kaiser gebe man sein kleines silbernes Bildchen auf der Zinsmünze immerhin, das hindert nicht, die Seele, Gottes Bild und Gepräg, Ihm zu geben, – gib Gott die Seele – und um Gottes willen dem Kaiser den Zins. Das war nun freilich ein dritter Weg, eine unerwartete Antwort, so unerwartet, als den Pharisäern das neue Testament selbst und die ganze neue Ordnung der Dinge war, die JEsus brachte. Die Pharisäer hofften immer wieder auf Erneuerung einer weltlichen Herrschaft der Juden, aber die Sache stand anders. Das Scepter war von Juda gewichen, der Held, der Schilo, war da. Von einer alttestamentlichen Treue gegen Gott, als Israels weltlichem König, war eben so wenig mehr die Rede, als von einem Volke Gottes, das aus beschnittenen Juden bestand; der Schatten war verschwunden, die Nacht nur noch in Pharisäeraugen; der neue geistliche König und Sein Reich, das nicht von dieser Welt, waren da. Nun hieß es: „Seid unterthan jeglicher menschlichen Ordnung um des HErrn willen!“ und die Reiche der Welt waren nicht mehr an und für sich selbst Israels Feinde. In diesem Evangelio liegt das ganze von der Welt her verborgene Geheimnis von Beruf und Seligkeit der Heiden verborgen. In ihm quillt der Brunn des Heidenapostels Paulus! Ein einfach Ja und Nein auf die Frage der Pharisäer hätte Pauli Lehre Lügen gestraft, aber das: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ bezeichnet den Weg der heiligen Kirche bis ans Ende – und aus dieser Antwort alleine ist klar genug, daß in allen Reichen und Landen, Zungen und Sprachen die Eine, heilige Kirche herbergen, wachsen und siegen – also durch das Irdische gehen kann, ohne daß sie das Himmlische verliere!


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/583&oldid=- (Version vom 1.8.2018)