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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

feiert, auch noch selbst seine größten, obgleich vorübergehenden Siege feiern, und die Mehrzahl der Welt zu einer zuvor unerhörten Gestalt des Heidentums zurückkehren, unmündig werden und sich sklavisch niederdrücken laßen in die ärmsten Satzungen und Anfangsgründe der Welt. Auch regt sich bereits allenthalben die Bosheit und der Menschen werden viele, die von dem göttlichen Reichtum sich abwenden, und sich zur Armut der Schulfragen weltlicher Weisheit und ihrer Satzungen mit einem Hochmute hinwenden, als gienge ihnen ein neues Licht auf, und als wäre die längst vergangene Nacht der Unmündigkeit der letzte Trost und Sonnenschein der Völker. Vor solcher Schmach hüte sich jeglicher Christ und salbe seine Augen fleißig mit der Augensalbe der beßern Erkenntnis, welche die Schrift und unser Text darbeut.

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 Diese beßere Erkenntnis lehrt dich, o Christ, dein Heil, das Heil deiner Erlösung, von welchen im zweiten Teil des Textes die Rede ist. Gegenüber den dürftigen Satzungen und Anfangsgründen der alten Zeit sehen wir hier den Eintritt der vom Vater bestimmten Grenze und Ablaufszeit der Unmündigkeit. Diese Zeit heißt die Erfüllung oder die Fülle, wie der Apostel spricht: „Als die Fülle der Zeit kam.“ Sie heißt Fülle nicht blos im Sinne der Erfüllung so vieler Weißagungen, die in der Zeit der Unmündigkeit gegeben waren, die erfüllt werden mußten; sondern auch weil die Zahl der Tage des Harrens und Wartens und das Maß der Sehnsucht voll wurde, der Sehnsucht nämlich derjenigen, die wie Simeon und Hanna mit den Schulkenntnissen der Unmündigkeit nicht zufrieden waren, sondern sich nach einem Fortschritt des Reiches Gottes und größeren Offenbarungen sehnten. Von dem HErrn steht es geschrieben, daß er den Königen und Königreichen ihre Zeit setzt, die sie nicht überschreiten dürfen; er hat auch den Weltmonarchieen der alten Zeit ihre Frist bestimmt und unter den Völkern der alten Zeit sein eigenes auserwähltes Volk die siebenzig Jahrwochen feiern laßen, von denen Daniel schreibt. Mit deren Ablauf kam die Fülle der Zeit. Da sandte Gott Seinen Sohn aus, vom Weib geboren, unter das Gesetz gethan, damit er die unter dem Gesetze erkaufte, auf daß sie die Kindschaft empfiengen und genößen. Merkwürdige Worte St. Pauli! Sie reden von einer Erkaufung aus der Vormundschaft, und es ist für einen jeden, der ein wenig überlegen will, am Tage, daß dieser Vers St. Pauli über das Gleichnis hinaus schreitet, welches in unsrem Texte das vorwaltende ist. Aus der Vormundschaft muß man ja doch sonst niemand erkaufen, am allerwenigsten aber muß der Vater und Eigentumsherr der Kinder sie den Vormündern und Pflegern abkaufen. Dazu kommt noch, daß im Grundtexte ein Wort steht, welches noch stärker ist als das deutsche Wort, erkaufen. Erkaufen ist mehr als kaufen, die Vorsilbe er zeigt an, daß das kaufen Mühe macht; nun heißt es aber im Griechischen „herauskaufen“, und es zeigt sich also, daß hier von einem kaufen die Rede ist, für welches der Verkäufer nicht einmal einen guten Willen entgegen bringt. Es liegt in dem Worte etwas, was nicht blos an den Kauf, sondern an die Beute erinnert, die man mit starker Hand und siegesmutig dem Feind entreißt. Wenn man nun sieht, wie der Apostel gewissermaßen drei Gedanken verbindet, die Aufhebung der Vormundschaft, die Erkaufung der Sklaven und die Herausführung der Erkauften als einer Beute, die man dem Verkäufer als einem Feinde entreißt; so sieht man schon daraus, was aus der Vormundschaft, von welcher St. Paulus redet, im Laufe der Zeit geworden war, nemlich eine Sklaverei. – Daran erinnert schon das Wort, welches der Apostel einmal gebraucht: „geknechtet unter die Anfangsgründe der Welt.“ Die Sklaverei war überdies eine um so ärgere, weil nicht blos der Satan und seine Knechte die armen Sklaven, die Mündel, nicht frei werden laßen, sondern weil sie auch selbst nicht frei werden wollten und sich ganz wol zu befinden wähnten. Aus dem Wort „erkaufen, loskaufen“ sieht man, daß der HErr, der sich bequemte, sein Eigentum zu erkaufen, dem Teufel und seinen Knechten ein gewisses Recht mußte zugestanden haben, die als Sklaven zu behalten, welche doch eigentlich bloße Mündel der Elemente dieser Welt waren. Es braucht ja kein Preis gezahlt zu werden, wenn der kein Anrecht hat auf die Sache, der sich als Verkäufer gibt. Und freilich, da sich die Juden den Verwaltern und Haushaltern und den Satzungen der alten Zeit freiwillig als Sklaven überlieferten, und Gott der HErr ihre eigne Wahl zur Strafe bestätigte, so war ein Recht vorhanden. Und wenn auch die Teufel sammt allen räuberischen Pflegern und Haushaltern selbst kein Recht

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 055. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/62&oldid=- (Version vom 1.8.2018)