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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

in Anspruch nehmen durften und ihnen kein Kaufpreis gezahlt werden mußte; so sollte doch nach dem Rathe des ewigen Erbarmens aller Gerechtigkeit Gottes genug gethan werden, auf daß sich die Barmherzigkeit wider das Gericht rühmen könnte, und es galt hier schon ein Erkaufen und ein mächtiges Entreißen aus der Hand der Feinde, die selbst im Namen Gottes noch den erkauften Sklaven den Weggang von ihrem Sklavenmarkte streitig machen wollten. Es hat sich ja auch in der Folge gezeigt, was es mit dieser Ausführung aus der sklavischen Vormundschaft der Juden für eine Schwierigkeit gehabt hat. Die Judenchristen wollten von ihren alten Satzungen nicht los. Nicht blos die Apostelgeschichte und die Behandlung des heiligen Paulus bei seinem letzten Besuch in Jerusalem liefert dazu sprechende Beweise; sondern da steht der Ebräerbrief als ein mächtiger Zeuge. Aus ihm sieht man ja, daß die ebräischen Christen in der furchtbarsten Versuchung waren, von Christo abzufallen und sich rein wieder den alttestamentlichen Satzungen, Vormündern und Pflegern zu überliefern. Ja als bereits der Tempel und Tempelkultus im Jahre 70 in Staub gesunken war, giengen doch ganze Generationen von Judenchristen aus großer Sehnsucht nach den Elementen der Welt, die sie aufgeben sollten, geradezu verloren, von den Juden allen zu schweigen, die bis zur Stunde lieber des Teufels werden, als daß sie sich ihrem König David und seiner befreienden Hand überlieferten. Und ganz so ist es ja auch mit den unzähligen heidnischen Geschlechtern, die seit der Erscheinung Christi den Ruf zur Freiheit überhörten und die dämonische Nacht der Abgötterei dem sonnenhellen Tage des Erlösers vorzogen. Aus der Schwierigkeit des geschichtlichen Erfolges kann man einen Schluß machen auf die Größe des Werkes der Erkaufung zur Freiheit der Kinder Gottes. Da galt es eine Erfüllung des Gesetzes und der Weißagungen, durch welche Gesetz und Weißagung nicht bloß erfüllt und übertroffen, sondern selbst verherrlicht wurden. Auch mußte die Kindschaft, zu welcher man durch die Erkaufung eingeführt wurde, allen Vergleich mit der Zeit der Vormundschaft aushalten können und Schätze bieten, wie sie der heilige Paulus im Ebräerbrief auch wirklich dem alttestamentlichen Wesen gegenüberstellt und kraft der Gegenüberstellung einen glänzenden Triumph über das vormundschaftliche Wesen feiert. Es ist hier nicht an der Zeit und Stelle, das Werk der Erlösung zu preisen, vielmehr müßen wir zum Ziele eilen, und die Kindschaft hervorheben, deren Recht nicht allein, sondern auch deren Genuß wir bekommen sollen und alle Tage bekommen können. Dennoch aber können wir nicht umhin, noch auf einige Besonderheiten unsers Textes hinzuweisen, die auf die Art und Weise der Erlösung hindeuten, und in welchen das Weihnachtsmäßige besonders hervortritt.

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 Die eigentlich weihnachtsmäßigen Worte dieser Epistel, die wie eine Antiphone dem Psalm, so dem ganzen Texte kenntlich den Charakter eines Weihnachtstextes aufprägen, finden sich nemlich im vierten Vers, welcher uns darlegt, wie die Loskaufung aus der Vormundschaft erfolgte. Dieser Vers lautet wörtlich wie folgt: „Als aber die Fülle der Zeit kam, sandte Gott Seinen eigenen Sohn aus, geboren von einem Weibe, untergethan unter das Gesetz.“ Da erinnert uns nun nicht allein der Ausdruck „Fülle der Zeit“ an das Fest der Geburt des HErrn, sondern die Worte: „Gott sandte Seinen Sohn“ klingen wie von der Sendung des Sohnes zur Menschwerdung, „geboren von einem Weibe“ erinnert ohnehin im Deutschen noch mehr als im Griechischen an die Geburt, und der Ausdruck „unterthan unter das Gesetz“ macht den Text so recht eigentlich zum Texte dieses Sonntags, welcher dem Beschneidungstag Christi voranläuft, das ist eben dem Tage, an welchem sich der HErr durch Empfang des alttestamentlichen Sakramentes der Beschneidung dem Gesetze unterwarf. Auf alle Fälle würde man für diesen Sonntag nicht leicht einen paßenderen Text haben wählen können, und dieses ist und bleibt der Fall, auch wenn meine nun zunächst folgenden Worte dem Texte ein Weniges von seiner unmittelbaren Beziehung auf das Weihnachtsfest nehmen sollten. Bei einer genauen Betrachtung zeigt es sich nämlich, daß die Worte „Gott sandte Seinen Sohn aus“ nicht auf die Aussendung zur Menschwerdung bezogen werden können, sondern daß der Sohn hier ausgesandt wird, um die Menschen zu erkaufen, die unter der Vormundschaft stehen, und daß die Zeit der Aussendung nicht eine und dieselbe ist mit der Zeit der Geburt, sondern hinter Geburt und Beschneidung zu setzen ist. Wen sendet Gott aus? Den Sohn, der vom Weibe geboren, und unter das Gesetz gethan ist. Erst mußte Er vom Weibe geboren

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 056. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/63&oldid=- (Version vom 1.8.2018)