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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

uns das häufig gelehrt worden ist. Dennoch aber wird von ihnen in unsrem Texte völlig abgesehen und ist von keinerlei Folgen unsrer besondern Sünden die Rede. Wir werden dabei, um nicht diesen Teil unsers Textes allzu schnell zu verlaßen, den Finger vor allen andern auf ein Wort legen dürfen, welches wir hier in der Gesellschaft von gewissen Wörtern finden, in der wir wenigstens nicht gewohnt sind, es zu suchen; ich meine das Wort des heiligen Petrus, welches Martin Luther in Ermangelung eines einzigen paßenden Ausdrucks in mehreren Worten gibt und es übersetzt: „der in ein fremd Amt greift.“ Im Griechischen steht der Ausdruck allotrioepiskopos, Bischof in fremdem Gebiete, und es ist damit der Uebermuth und Fürwitz derjenigen bezeichnet, die nicht zufrieden sind, ihren Platz auszufüllen und ihres Amtes zu warten, sondern jedermann meistern, überall reden und eingreifen und aller Orten und Enden die Geschäftigen und Thätigen sein wollen. So wie kein Bischof oder Pfarrer Bischof und Pfarrer im fremden Sprengel ist und in demselben ohne Beruf des rechtmäßigen von Gott bestellten Hirten auch nicht das geringste Amtsgeschäft vollziehen darf; so hat überhaupt ein jeder Mensch den Beruf des andern zu achten, im eignen Berufe Meisterschaft zu beweisen, in fremde Händel und Geschäfte sich nicht zu mischen. Hält er seine Grenzen nicht ein, tritt er in ein fremdes Arbeitsfeld, maßt er sich eines Andern Gewalt und Vollmacht an, so muß er sich’s gefallen laßen, nach Inhalt des 15. Verses in unserm Texte mit dem Uebelthäter, Dieb und Mörder in eine Reihe zu treten, wie diese angesehen und behandelt zu werden und mit ihnen Strafe zu leiden. Dazu wird er nicht bloß das Leid und die Strafe sich gefallen laßen müßen, sondern Stellen, wie die unsrige, müßen auch sein Gewißen überzeugen, daß ihm nicht zu viel geschieht, wenn man ihn mit den schwersten Leiden belegt; es geschieht ihm damit nur sein Recht und er hat Buße zu thun mit den Mördern und Dieben und Uebelthätern. Möglich daß der, der in ein fremdes Amt greift, an und für sich nichts Böses thut, sondern Nützliches und Gutes; dennoch aber wird alles Gute und Nützliche zu lauter Uebelthat, Diebstahl und Mord, so wie man damit in fremde Befugnis eingreift. Amt und Beruf gehören zum Eigentum des Menschen, welches vom siebenten Gebot umhegt und umschirmt ist. Je geistiger dies Eigentum ist, desto mehr muß es geschont und geachtet werden, desto leichter vergreift man sich dran, desto ernster muß der Uebergriff geahndet und gestraft werden, desto ungerechter ist der Verdruß über die Strafe, desto nötiger Buße in Sack und Asche. Es kann keinen unleidlicheren und widerwärtigeren Menschen geben, keinen übermüthigern und unmännlichern, als der über fremde Grenzen greift! und es wäre deshalb ganz gut, wenn man sich den Ausdruck allotrioepiskopos, für den es keine kurze deutsche Uebersetzung gibt, schön merken und sich an ihn erinnern würde, so oft man in sich die Reizung spürt, in fremdes Amt zu greifen.

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 Verzeiht mir, lieben Brüder, die längere, doch hoffentlich nicht unnütze Abschweifung und erinnert euch, daß ich im Allgemeinen nichts sagen wollte, als was der Text auch sagt, daß man die Strafen schwerer Sünden nicht unter die Leiden der Christen rechnen könne, weil ein Christ nicht in schweren Sünden lebt. – Im 16. Vers unsres Textes sagt der Apostel: „Leidet ein Mensch als ein Christ, so schäme er sich nicht,“ und im 14. Vers heißt es: „Selig seid ihr, wenn ihr geschmähet werdet über dem Namen Christi“. Mit diesen Worten sind die wahren Christenleiden bezeichnet. Zum Verständnis derselben muß ich euch an einiges erinnern, was einem bei der deutschen Uebersetzung M. Luthers nicht alsbald einfällt. Im 26. Vers des elften Kapitels der Apostelgeschichte wird uns von der gesegneten Arbeit des heiligen Paulus und Barnabas in der großen syrischen Stadt Antiochia erzählt, wie da die beiden großen Lehrer viele Heiden an sich und zu Christo gezogen hätten, und wie man dort zuerst die Jünger mit dem Namen Christianer belegt habe, d. h. mit dem Namen Anhänger Christi. Dieser Name „Christianer“ bekam bald eine weitere Verbreitung, wie denn z. B. in dem 26. Kapitel der Apostlg. Vers 28 der König Herodes Agrippa zu Paulo sagt: „Es fehlt nicht viel, so überredest du mich, ein Christianer zu werden“, ein Anhänger Christi zu werden. Ganz denselben Ausdruck braucht St. Petrus in unserm Texte, wo es eigentlich heißt: „Leidet er als Christianer, so schäme er sich nicht.“ Dieser Name der Jünger „Christianer“ ist keineswegs ein und derselbe mit dem Namen, den wir heutzutage gewöhnlich brauchen, mit dem Namen Christ. Der Unterschied hat sich zwar verwischt, weil wir Deutschen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 072. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/79&oldid=- (Version vom 1.8.2018)