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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

überhaupt den Namen Christianer gar nicht brauchen, aber nichts desto weniger besteht er. Der Name „Christ“ ist wesentlich derselbe mit Christus, heißt nichts anders als ein Gesalbter, und indem man uns Christen nennt, will man nichts anders sagen, als daß auch wir mit dem Geiste Christi gesalbt seien. Der Name „Christianer“ aber hat wie andre Namen, die sich mit den beiden Silben „aner“ schließen, etwas Misfälliges, Geringschätzendes und Tadelndes an sich und ist seiner Entstehung nach nichts anders, als ein Schimpfname, so wie denn z. B. auch der Name Lutheraner eigentlich nichts anders als ein Schimpfname ist. Die Leute, welche sich in Antiochien zu Barnaba und Paulo schlugen, gefielen den andern nicht, und wenn sie von diesen als Christianer bezeichnet wurden, so sollte damit nichts anderes ausgedrückt werden, als der Unmut der Heiden über die Absonderung der Gemeinde Christi und über eine Anhängerschaft Christi. Dem Christus sollte ihrer Meinung nach niemand anhangen; je mehr und entschiedener es aber dennoch geschah, desto unwilliger wurde die Heidenschaft und desto mehr fühlte sie sich zu Aeußerungen und Thaten des Haßes angetrieben, welche für die Christianer selbst zu großen und schweren Leiden wurden. Unsre Textesstelle allein schon ist hinlänglich und man braucht gar nicht auf so viele andre Stellen des neuen Testamentes hinzudeuten, um zu beweisen, daß es schon in den apostolischen Zeiten bei den Heiden ein strafwürdiges Verbrechen war, ein Christianer zu sein. Wenn St. Petrus sagt: „Leidet jemand als ein Christianer, der schäme sich nicht,“ so heißt das nichts anders, als: „wird einer bloß deshalb, weil er ein Anhänger Christi ist, wie ein Mörder, Dieb oder Uebelthäter behandelt, so laße er in seinen Leiden nicht die Ansicht der Ungläubigen auf sich übergehen, als hätte er wirklich ein Verbrechen oder irgend etwas begangen, deßen er sich schämen müßte.“ Aus dem bisher Gesagten erhellt es, welche Leiden man für Christenleiden zu nehmen hat und von welchen in unsrer Epistel die Rede ist. Der Text spricht nur von Leiden, die man um deswillen von der Welt zu tragen und zu dulden hat, daß man ein Anhänger JEsu Christi ist. Diese Leiden können an und für sich selber verschieden sein. Sie können in Schimpf und Schmähung bestehen, wie denn der Apostel im 14. Verse davon redet, daß man „über dem Namen Christi“ geschmäht wurde, d. h. daß der Name Christi durch die Abwandelung in das Schimpfwort „Christianer“ oder auf eine andre Weise zu einem Schimpfwort gemacht wurde. Auch Schimpfworte sind Leiden, welche ein Apostel Petrus für erwähnenswerth finden kann, ja welche Christus selbst Matth. 5, 11 der Seligpreisung für würdig achtet. Es kann sich aber der Haß der Ungläubigen noch zu stärkeren Aeußerungen erheben, als zu bloßen Worten, man kann um des Christentums willen verfolgt, verjagt, wie Mörder und Diebe und Uebelthäter behandelt, ja ärger als diese mishandelt und aus dem Leben gejagt werden, wie das Christus vielfach geweißagt hatte, die Apostel bereits in eigene Erfahrung brachten, die zehn großen, blutigen Verfolgungen unter den römischen Kaisern beweisen, und deren auch andre Beweise in verschiedenen Gegenden und zu verschiedenen ältern und neuern Zeiten nicht mangeln. Da gibt es dann die Leiden der heiligen Bekenner und Märtyrer.

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 In unsern Gegenden ist die christliche Kirche die herrschende, und es sollte freilich um des Namens Christi willen bei uns weder Schmähung noch Verfolgung geben. Dennoch wißt ihr alle, daß auch unter uns diejenigen, die gottselig, d. h. christlich leben wollen, geschmäht werden und Verfolgung leiden müßen. Es gibt eben in diesen sogenannten christlichen Kirchen so wenige wahre, gesalbte Christen, daß es auffällt, wenn da oder dort einmal ein Mensch im Ernste seines Glaubens lebt. Dagegen sind die meisten sogenannten Christen bei uns nur Namenchristen, die es hoch übel nehmen, wenn jemand es wagt, aus dem Christentum mehr Ernst zu machen als sie. Sie geben und geberden sich als die Kirche, wir aber sind unter ihnen eine rechtlose Sekte, der sie alle Tage den Abschied bieten und ihr, wenn sie nicht bald guten Rath annimmt und selbst geht, den Weg in die Einsamkeit und in die Wüsteneien weisen werden, wohin sie gehören. Einstweilen schilt man uns mit allerlei Namen, die euch bekannt sind, von denen mir kein einziger beßer gefällt, als wenn wir schimpfweise „Heilige Gottes“ genannt werden. Vielleicht über eine kleine Weile wird’s anders, der Abfall bereitet sich immer mehr, Jahr für Jahr reift die Welt mehr der Zeit entgegen, wo der größte aller Siege des Heidentums unter dem Antichristus eintreten wird, und

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 073. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/80&oldid=- (Version vom 1.8.2018)