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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

dann wird es mehr als in den Tagen der römischen Kaiser zu leiden geben, und die Wolke der Blutzeugen JEsu wird groß werden. Da wird Christus eine kleine Weile flüchten gehen, wie nach Egypten, dann aber auch über die größten Siege des Heidentums und der Menschenvergötterung seine größten Siege feiern. Daher wollen wir aus unsrem Texte lernen, wie man die Leiden der Christen ansehen und tragen soll, damit wir’s verstehen und können, wenn die Zeit kommt. Auch wollen wir die kleinen Leiden, die schon da sind, treulich zur Uebung benutzen und den HErrn bitten, daß Er uns an ihnen zu Seinem heiligen Martyrium und für die Krone der Ueberwinder reifen laße.

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 Wenn unser HErr JEsus Christus uns die Regel gibt, daß wir uns allezeit gegen andre so verhalten sollen, wie wir wünschen müßen, daß sie sich im gleichen Falle gegen uns verhalten möchten; so darf man sicher annehmen, daß diese Regel auch bei Ihm selber, dem Vorbild aller Menschenkinder, die vollkommenste Anwendung fand. Er hat sich, darin sind wir alle einig, von der Krippe bis zum Grabe, gegen die Menschen so liebreich und erbarmungsvoll benommen, daß man zwar nicht sagen kann, die Menschen hätten sich ebenso gegen Ihn verhalten sollen, denn wie hätten sie das auch nur anfangen sollen, aber wol, die Menschen hätten Ihm nach ihrem kleinen Maße die unaussprechliche Liebe und Barmherzigkeit mit dankbarer Liebe und Anbetung bezahlen sollen. Nicht immer ist ein Verstandesschluß auch ein Schluß und eine Regel für’s Verhalten, aber in dem Fall ist es gewis so, und ein jeder wird den Schluß als Forderung anerkennen. Wenn nun aber anstatt deßen Christus schon als Säugling flüchtig werden muß, eben weil Er ist, der Er ist, und Ihm in Seinem ganzen Leben und in Seinem Sterben, und im Stande Seiner Herrlichkeit von den Menschen das Gegenteil widerfährt; so ist das für einen jeden, der es überlegt, etwas Unerwartetes, etwas Befremdendes, was Verwunderung und tiefe Trauer erwecken kann. Ebenso wenn die Jünger Christi, die Sein Geist allenthalben zur Wiedergeburt und zum Leben bringt, durch ihr Beispiel und durch ihre guten Werke, Segen und Wolthat für die Menschen werden, unter welchen sie leben, Freunde und Feinde mit jener Liebe umfaßen, die allein Gottes Geist erwecken kann; so macht man auch den Schluß und zieht die Regel, daß ihnen ihre Nachbarn und Freunde und Zeitgenoßen die Liebe mit Liebe vergelten sollen, und wenn es nicht geschieht, so muß man es befremdlich und seltsam finden. Und zwar wird das in dem Maße mehr der Fall sein, je schlechterer Dank ihnen bezahlt wird, und wenn ihnen für ihr Beispiel und ihre treue Liebe nicht blos überhaupt Leiden, sondern feurige Leiden und eine Hitze des Jammers und der Verfolgung zu Teil wird, wie es ja der Fall gewesen ist und die Millionen von Märtyrern beweisen; so muß das Befremden den höchsten Grad erreichen, es kann sich zum Unmut und zum gerechten Zorne steigern. Auch das ist so ein Schluß der menschlichen Vernunft, wie es ihrer viele gibt, richtig für den oder jenen Standpunkt, falsch aber in den Augen und nach der Lehre des Apostels Petrus. „Lieben Brüder“, sagt dieser, „laßt euch die Hitze, die euch begegnet, nicht befremden, als widerführe euch etwas Seltsames.“ Freilich, was Christo begegnet ist, das muß nicht mehr befremdlich scheinen, wenn es auch den Seinen begegnet. Ist es bei Ihm hoch befremdlich, bei uns kann es nicht mehr befremdlich sein. Wenn man Ihn mit Undank bezahlt, Ihm für Seine Freuden Schmerzen, für Seine Speise bittern Mangel, für Seine Liebe Haß, und für das Leben, welches Er mitgeteilt hat, den bittern Tod reicht; so können wir Unvollkommnen, die wir auch in all unsre Tugend und guten Werke den Wermutssaft eines bösen Herzens einmengen, gewis für uns nichts anders erwarten. Das Gegenteil wäre befremdlich, wenn uns die Welt anders zahlte, als unserm HErrn. Haben sie den Hausvater Beelzebub geheißen, was sollen sie so armen Hausgenoßen thun, wie wir sind. Wer nicht Sein Kreuz auf sich nimmt und dem großen Kreuzträger nachfolgt, der kann Sein Jünger nicht sein. Das ist eben die erste Lehre des heiligen Petrus über die Art und Weise, wie wir die Leiden des Christen anzusehen haben: Nicht befremden, nicht befremden mehr darf uns die Hitze, die uns begegnet, seitdem sie auch dem HErrn begegnet ist. Umgekehrt also, wenn hie und da manche Christen die Kunst verstehen und üben, mit abgesagten Feinden des Christentums und entschiedenen Weltlingen gut auszukommen, wol gar in Freundschaft zu leben, so ist das eine Sache, die gerechtes Mistrauen erregen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 074. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/81&oldid=- (Version vom 1.8.2018)