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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

wird noch viel weniger als das vollkommene Wolverhalten Christi die Welt zufrieden machen. Laß dein Licht leuchten, daß die Leute deine guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen, wundre dich aber nicht, wenn das Gegenteil geschieht; denn es gibt mancherlei Leute, die einen preisen Gott über das Wolverhalten ihrer Brüder, was aber ein rechtes Kind der Welt und des Teufels ist, das wird durch Gutes nur zum Bösen entflammt. – Da haben wir also nun die dritte Lehre St. Petri über die richtige Ansicht von den Leiden der Verfolgungen, wir sollen sie für eine Gemeinschaft der Leiden Christi halten. Aber noch immer höher steigt der Apostel. Nicht befremdlich sind die Leiden, Prüfung sind sie, Gemeinschaft der Leiden JEsu, und was noch? Eine Ursache der Freude hier und größerer Freuden dort. Denn so sagt der Apostel Vers 13: „In dem Maße, in welchem ihr an den Leiden Christi teilnehmet, freuet euch, damit ihr auch in der Offenbarung Seiner Herrlichkeit euch mit Hüpfen und Springen freuen könnet.“ Eine wunderliche Lehre. Da reimen sich also Leiden und Freuden, und zwar der Sache nach beßer als nach dem Wortlaut. Sie scheinen sich zu widersprechen und sich gegenseitig aufzuheben: Freude hebt Leid, Leid hebt Freud, eine unversöhnliche Feindschaft wie zwischen Waßer und Feuer scheint zwischen Leid und Freud, aber es scheint nur so. Schon die gewöhnlichen Leiden, welche ein Christ mit allen Menschen gemein hat, Guten und Bösen, bekommen durch die Einflüsse des heiligen Geistes tief im Herzen einen Beigeschmack der Freuden, über den man sich verwundern muß. Wie viele Heilige Gottes rühmen es, daß ihnen die Tage großer Schmerzen und Krankheiten die seligste Rückerinnerung bieten und sich, nachdem sie verstoßen sind, ihrem Geiste schier wie ein entrücktes Paradies darstellen. In einem noch viel höheren Maße findet man dies bei der Gemeinschaft der Leiden JEsu, bei Verfolgungsleiden. Christi Leiden gehen für sich, sie sind unergründlich tiefe Meere; ich kann mich in sie nicht schicken, nicht denken, nicht vertiefen, ich darf es kaum, und weiß drum auch nicht, ob ich nur wagen darf, die Erfahrung Seiner Heiligen auf Ihn anzuwenden und zu sagen: Auch in Seinen Leiden gab es verborgene Freuden. Aber bei unsrer Gemeinschaft Seiner Leiden ist es so. Schlag’ die Apostelgeschichte auf und lies, wie sich die Apostel freuten, wenn sie würdig erfunden wurden um des Namens JEsu willen Schmach und Streiche zu leiden. Denk an das Angesicht des Erzmärtyrers Stephanus, welches engelgleich wurde, da seine Leiden am heißesten entbrannten, an dies engelgleiche Ansehn, das doch sicherlich nicht blos von außen aufgetragen, sondern ein Wiederschein des Mutes und Freudengeistes im Innern war. Lies die Leidensgeschichten der Märtyrer späterer Zeiten, und du wirst überrascht werden, wie oft sie selbst sagen, und die Augenzeugen es versichern, daß sie mitten im Leiden voller Freude gewesen seien, und feurige Qualen vor dem Ueberschwange der Gnade des heiligen Geistes nicht spürten. Da hieß es, wie St. Petrus schreibt: „Nach dem Maße, in welchem ihr Gemeinschaft habt mit den Leiden Christi, freuet euch.“ Der Apostel befiehlt die Freude, weil er weiß, daß sie einem jeden gegeben wird, der sie nicht von sich stößt. Und eben damit, daß er so wunderbar befiehlt und im Befehle verheißt, gibt er uns die Anleitung, Verfolgungsleiden für Freuden zu halten, eine Anweisung, die sich aus vielen Stellen des neuen Testamentes erweitern und vervollständigen könnte. Man soll sie aber auch für eine Freudensaat der Ewigkeit halten: „Freuet euch, spricht er ja, damit ihr euch auch in der Offenbarung Seiner Herrlichkeit mit Hüpfen und Springen freuen könnet.“ Wenn die Leiden des Bekenntnisses und Martyriums lasten und drücken, dann pflegt der Leib von ihnen überwogen, gebunden, niedergeworfen zu sein, auch wenn die Seele innerlich voll Freuden, und das Gefühl der leiblichen Leiden dadurch innerlich überwogen ist. Wenn aber die Leidensgeschichte bis zum: „Es ist vollbracht“ gekommen, das blutige Opfer der Heiligen gebracht, der Leib dem Lämmlein ähnlich geworden ist, das für uns geschlachtet, dann hoffen die Seelen der Zeugen unter dem großen Altar des Himmels auf den Tag der Offenbarung JEsu und Seiner Herrlichkeit. Da wird Er sie auferwecken in der ersten Auferstehung, und Er wird mit ihnen, den vielen tausend Heiligen kommen. Sie werden vor Ihm hüpfen und springen mit Freuden, wie im Reigentanz die Jungfrauen jenseits des rothen Meeres; so werden sie vor dem HErrn hergehen und die goldene

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 076. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/83&oldid=- (Version vom 1.8.2018)