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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

auf ewige Himmelsfreuden. Der Geist der Herrlichkeit und Gottes ruht auf ihnen und wirkt in ihnen, ihr Leidensloos ist selig und herrlich. Und doch werden sie durch einen apostolischen Lehrer angewiesen, in ihren Leiden auch ein Gericht zu sehen. Das ist ein wunderbarer Gott, der so das Süße mit dem Bitteren, und die Strafe mit der Barmherzigkeit mengen und den Seinen wol und wehe thun kann zugleich, der die Folgen der Sünde walten läßt, und nur Haß und Fluch von ihnen nimmt, Seinen Geist uns trösten läßt und zugleich uns strafen. Welcher Heilige Gottes hätte das nicht schon an sich selber zu hundert Malen erfahren? Wie oft kommen über uns Leiden, kleine und große; sie triefen von Gnade und Barmherzigkeit, sie scheinen vielleicht völlig unverschuldet, etwa gar rein um des Namens JEsu willen auferlegt: da weckt in stiller Stunde der Geist Gottes die Erinnrung an längst vergeßne Sünden, und ein rother Faden des Zusammenhangs streckt sich von ihnen herunter bis zu unsern Jammerstunden. Unverkennbar tritt der Zusammenhang in’s Licht, und tief hinein ins Herz spricht eine Stimme: „Es ist deiner Bosheit Schuld; daß du so gestäupet wirst, und deines Ungehorsams, daß du so geschlagen wirst;“ da ist dann zur Barmherzigkeit Gericht und Gerechtigkeit gekommen. Da kann einem Paulus in den letzten Augenblicken, während der Henker das Schwert über seinem Haupt schwingt, der HErr aber Selbst ihm die Märtyrerkrone darreicht, einfallen, daß er das an Stephano und den Heiligen, die er verfolgt hat, verdient habe, was ihm nun der Henker als ein langsamer Bote der göttlichen Gerechtigkeit bringt. Und dem Petrus, da er an’s Kreuz geschlagen wird, kann tief in die Seele das Andenken an die Nacht dringen, in welcher er den Gekreuzigten mit Flüchen und Schwüren verleugnete. Und wenn da allenfalls noch ein richtender Strahl aus dem Auge des verklärten Heilandes und ein Tropfen Seines bittern Gefühles fällt, das Er selbst, der HErr, über die Untreue der Seinen zu schmecken bekam, so kann es ernste Augenblicke und, wenn das Leben langt, auch Stunden und schwere Anfechtungen geben, so daß der Geist der Herrlichkeit und Gottes viel zu arbeiten bekommt und mächtig durch diese Wolken dringen muß, um Licht und Klarheit und Frieden zu bringen. Ja, meine Brüder, das ist eine ernste Sache, wenn der HErr Seinen Leidenden in’s Bewußtsein bringt, daß in ihren Leiden Sein Gericht ist. Dennoch aber ist die Offenbarung, die uns Gott durch Petrum gibt, des größten Dankes werth. Unser Gericht wird ja doch diesseits des Grabes verlegt, und wenn wir durch Sein mäßiges Feuer hindurchgegangen sind, so finden wir jenseits nichts als Gnade und Barmherzigkeit, und die ewige Ruhe in den Wunden JEsu thut uns desto woler. So ist es. „Es ist Zeit,“ sagt der Apostel, „daß das Gericht seinen Anfang beim Hause Gottes nehme.“ Also fällt unser Gericht noch in die Zeit, ist vorübergehend und vergänglich, und wenn wir kaum daraus errettet werden, wenn es hart hergeht, so kommen wir doch hindurch und werden doch fertig, und ist doch alles miteinander nur eine Ahndung, nicht eine Vergeltung nach Verdienst, während der Fortschritt des göttlichen Gerichtes etwas ganz andres ist. In unsren Leiden ist doch nicht blos Bewußtsein unsrer Strafe, sondern auch Gemeinschaft der Leiden Christi, und Freude und Seligkeit, eine Freude und Seligkeit, die uns zuweilen um so mächtiger durchdringen muß, weil wir mit vergänglichem Gericht gerichtet werden, weil unsre Noth ein Ende nimmt, und die herrlichste Wendung bevorsteht. Es kann nicht ohne hohe Befriedigung abgehen, wenn man mitten in der Qual weiß, daß sie ein Ende nimmt, und alle Traurigkeit in Freude verwandelt wird. Was wills hingegen, wie St. Petrus sagt, „für ein Ende werden mit denen, die dem Evangelio Gottes nicht glauben? Und so der Gerechte kaum erhalten wird, wo will der gottlose Sünder erscheinen,“ wie soll der hartnäckige Götzendiener, wie der Sklave seiner Leidenschaften und Lüste im Gericht bestehen? Denen gegenüber, die ein ewiges Gericht erfaßen wird, ist das Gericht unsrer zeitlichen Leiden so leidlich, so klein, und überdies durch die Gnade Gottes so glorreich und von so seligem Wechsel gefolgt.

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 Hier, meine lieben Brüder, stehe ich stille, die ganze Ansicht von den Leiden der Christen um ihres Christus willen, so weit sie St. Petrus in unserm Texte lehret, habe ich euch vorgelegt, und gemahnt von der verrinnenden Zeit, eile ich, euch noch die beiden Punkte vorzulegen, welche St. Petrus rücksichtlich unsers Verhaltens in dem Leiden um JEsu Christi willen vorträgt. Es sind nur zwei Punkte, wenn nicht etwa Jemand unter euch in dem Aufruf

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 078. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/85&oldid=- (Version vom 1.8.2018)