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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

fallet. Denn etwa brennt das Feuer der Prüfungshitze vor der Thür und die Zeit ist vorhanden, die lange verzog. Der HErr aber gebe jedem zu seiner Zeit und Stunde, die Leiden anzusehen wie Petrus, und sie zu tragen, wie er durch Wort und Beispiel gelehrt hat. Amen.




Am Erscheinungsfeste.

Jesaia 60, 1–6.
1. Mache dich auf, werde Licht; denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des HErrn gehet auf über dir. 2. Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir gehet auf der HErr und Seine Herrlichkeit erscheinet über dir. 3. Und die Heiden werden in deinem Lichte wandeln und die Könige im Glanz, der über dir aufgehet. 4. Hebe deine Augen auf und siehe umher: diese alle versammelt kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter zur Seite erzogen werden. 5. Dann wirst du deine Lust sehen und ausbrechen und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge am Meer zu dir bekehret und die Macht der Heiden zu dir kommt. 6. Denn die Menge der Kameele wird dich bedecken, die Läufer aus Midian und Epha. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HErrn Lob verkündigen.

 DEr heutige Festtag hat unter allen, die wir feiern, oder genauer zu reden, die man in der Christenheit feiert, denn überall wird er nicht gefeiert, das wunderlichste Schicksal gehabt. In der grauen Vorzeit der ersten christlichen Jahrhunderte feierte ihn das christliche Morgenland als Geburtstag JEsu, bis von Rom her die abendländische Tradition, nach welcher Christus am 25. Dezember, also zwölf Tage vorher geboren ist, auch in das Morgenland eindrang und durch die schlagende Kraft ihrer Gründe den zähen Morgenländer dahin brachte, daß er von seiner Gewohnheit ließ und mit dem Abendlande den Geburtstag JEsu feierte. Da verlor denn der 6. Januar die große Würde und Bedeutung, die er zuvor gehabt hatte. Doch hörte er keineswegs völlig auf, ein Fest zu sein, sondern er mußte sich nur mit geringerer Feier begnügen. Diese neue, geringere Feier war nun aber wieder keine einträchtige, denn das Morgenland feiert seitdem an diesem Tage das Fest der Taufe JEsu, während das Abendland vorzugsweise die Ankunft der Weisen bei der Wiege des ewigen Erlösers feiert. Wir Protestanten folgen in diesem wie in andern Stücken dem allgemeinen abendländischen Zuge, so jedoch, daß auch wir neben der hauptsächlichen Feier des Besuchs der Weisen in Bethlehem auch an die Taufe JEsu und an das erste Wunder zu Cana denken. Auch in der Aufnahme dieser dreifachen Beziehung folgen wir dem allgemeinen abendländischen Vorgang. Indessen spreche ich, so lange ich heute rede, von dem Epiphanientage als von einem allgemeinen abendländischen Feste, während ich doch Ursache habe, es zu den Schicksalen des Tages zu rechnen, daß er hie und da unter uns gar nicht gefeiert wird und auch hier bei uns nur eine Art von zufälliger Feier hat. Nicht zur hohen Feier, nicht zum Sakramente sind wir hieher gekommen, sondern es ist ein gewöhnlicher Mittwochsgottesdienst, zu dem wir uns versammelten und bei welchem wir, weil gerade der 6. Januar ist, des Festes gedenken, das man allenthalben feiert. Es wird ja doch wol einmal wieder anders werden und der Epiphanientag und vielleicht manch andrer, der gleich ihm abgekommen ist, sonderlich der Tag der Verkündigung Marien, die Wurzel der Zeiten, in den alten Glanz und die frühere Feier wieder eintreten. Bis dahin üben wir die Feier, zu der wir keine Genehmigung

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 081. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/88&oldid=- (Version vom 1.8.2018)