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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

zu bestimmen, wie sich in der von den Propheten so vielfach geweißagten seligen Zeit Israels auf Erden alle Dinge gestalten sollen. Aber das ist aus Jes. 60 gewis, ein Zug und eine Liebe der Völker zu Jerusalem und dem Volke Israel, eine Gemeinschaft, ein Friede und eine Liebe zwischen Juden und Heiden, eine Erhebung des heiligen Volkes und Landes, wie nie zuvor, wird stattfinden, wenn auch nur das in Erfüllung geht, was Jes. 60 geschrieben steht, von den übrigen Propheten und der Offenbarung Johannis nicht einmal etwas zu reden. Leset nur einmal das 60. Kapitel im Zusammenhang und schauet zu, ob ein getreuer Leser sich mit dem Gedanken befreunden kann, daß alle diese 22 Sprüche von weiter nichts reden, als von der verborgenen geistlichen Herrlichkeit der Kirche, so wie sie je und je gewesen und noch ist. Nein, nein, da wird es eine ganz andre Epiphanie geben, als wir jetzt feiern und als sie den Weisen geschenkt wurde, da wird mit Macht in Erfüllung gehen und in einer Treue, ich möchte fast sagen Buchstäblichkeit, was die Propheten schreiben, daß man sich über den Gott wird wundern, der solches Alles voraus bereitet und bedeutet hat und zur rechten Zeit es erfüllt. Es ist keine Zeit, aus allen Zügen, die die Schrift enthält, ein harmonisches Bild der großen Glückseligkeit der herrlichen Zeit zusammenzustellen. Wer würde das auch vermögen, wer die Weisheit dazu haben, wem würde nicht über der Ausführung der Aufgabe Muth und Kraft zerrinnen? Hier gilt, daß kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieb haben. Indeßen lesen wir genug und auch unsre armen Versuche, die geweißagten Siege zu einem Bilde zusammenzufaßen, geben wenigstens so viel Licht, daß unser Herz dadurch entzündet und voll Hoffnung und unser Geist erfreut wird über die kommende Epiphanie des HErrn und über die Anbetung der Völker gegen Den, den auch die Weisen aus Morgenland angebetet haben. Es muß erst kommen das Vollkommne, da hört das Stückwerk auf, da wird groß werden die Anbetung. Gold, Weihrauch und Myrrhen, Gott und seinem Christus dargebracht, wird viel und des Lobgesanges kein Ende werden in den Thoren Jerusalems. Des leben wir in großer fröhlicher, freudiger Hoffnung.

 Bis aber die Zeit unsrer Hoffnung über den Gräbern der Vorzeit und vielleicht auch über den unsrigen aufgeht, nahen wir im Geist und Gebete lobend und dankend dem treuen König Israels, der unsre heidnischen Väter und uns durch sein Evangelium berufen, der nicht gewartet hat, bis daß wir kämen, sondern als ein guter Hirte uns verlorene Schafe besucht und zu der einen Heerde gebracht hat. Er hat uns wilde, heidnische Zweige durch Seine heilige Taufe in den guten Oelbaum Seiner Kirche eingepfropft und auch uns eingeleibt in den großen heiligen Leib, der die Hoffnung eines ewigen Lebens hat. Wir sind Kinder Gottes geworden aus Feinden, Abrahams wahrer geistlicher Same, Erben Gottes und Mitarbeiter JEsu Christi. Dafür sei Ihm hier schon Dank und Psalm und Lob und Opfer gebracht. Unsre Herzen sollen Ihm grünen, unsre Lieder Ihn feiern und unsre Liebe, unsre feurige, betende, andachtsvolle Liebe, soll Ihm alle Tage und Stunden aufs neue geschenkt und dargebracht sein für Seine große Wolthat, daß wir Christen worden sind. Weil aber eine Liebe ohne That und Werk keine wahrhaftige Liebe ist und sich keine Liebe unbezeugt laßen kann, so muß auch diese unsre Liebe zu unsrem HErrn und Erlöser ihre Aeußerung, ihre Früchte, ihre Werke haben. Da fragen wir auch nicht lange: „Was soll ich dir, mein Seelenfreund, für Deine Treue geben?“ Wir wißen längst schon, wonach Er begehrt und nach welchem Danke Ihn von uns hungert. Er will geehrt sein in den Seinen, gesalbt in Seinen armen Gliedern, besucht in Seinen Kranken und Gefangenen, gespeist, getränkt, gekleidet in Seinen Hungrigen, Durstigen und Nackten. Unter den Juden und Heiden soll Sein Evangelium geopfert, dem Glaubensgenoßen soll allerlei Gutes gethan werden, und je nachdem eines oder das andre Seiner Gebote winkt, sollen die Werke der Heiligen als Schaubrode in sein Heiligtum gelegt werden. Das wißen wir, und darum wird uns der Epiphaniastag zum Offertorium- und Opfertage, und was wir alle Tage für unsre Pflicht erkennen, das wird uns heute zur besondern angenehmen Aufgabe, wie ihr dies ja selber wißt, meine Lieben, und wie wir deßen in unsrer Gemeine bereits eine selige Gewohnheit haben.

 Wolan, am Weihnachtsabend und Weihnachtsfeste haben wir unsern Kindern und Freunden je nach Liebesdrang und Vermögen Geschenke und Gaben zugebracht. Heute bringen wir sie JEsu selber und

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 086. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/93&oldid=- (Version vom 1.8.2018)