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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

bis mitten hinein in Seine herrliche Thätigkeit als Prophet und Heiland der Welt. Und während sich so das Leben des HErrn vor unsern Augen immer herrlicher enthüllt, gehen die Episteln in ihrer Weise gleichen Schrittes neben her. So wie man in der Weihnachtszeit aus den Episteln die Entstehung der Kirche Gottes und die Ausführung der Menschheit aus dem alten in’s neue Testament, ja aus der alten in die neue Geburt entnehmen konnte, neben dem Bräutigam und HErrn Seine Braut und Magd entstehen und werden sah; so sieht man jetzt neben dem Fortschritt des Lebens JEsu in den Episteln den herrlichsten Fortschritt und die schönste Entwicklung des Lebens Seiner Gläubigen. Es läuft also neben dem Leben JEsu die Beschreibung des verklärten Christenlebens her, und ich denke, meine lieben Brüder, das wird wol der Hauptgedanke sein, welcher die Kirche bei der Wahl der epistolischen Texte für die Epiphaniensonntage geleitet hat. Sie liest überhaupt von uralten Zeiten her in der Zeit nach Weihnachten die Briefe Pauli, und zwar hauptsächlich solche Stücke, die den so eben angegebenen Gedanken, „das Leben der Gläubigen in seiner Entfaltung“ recht ausführlich und eingehend darlegen. Für die ersten drei Epiphaniensonntage liest man das zwölfte Kapitel an die Römer in drei mit einander zusammenhängenden Abschnitten. Der erste Abschnitt, unsre heutige Epistel, legt uns zuerst in einigen großen Zügen das Leben der Gläubigen in seinem Verhältnis zu Gott, zur Welt und zur Kirche vor. Im Texte des nächsten Sonntags verteilt sich die Flut der Gnaden, wie der Strom Nil zur Zeit wo er übergeht, in eine Menge von Kanälen und Rinnen bis in die einzelnen Felder und Gärten des speziellsten Lebens. Da sieht man das heilige Leben des Christen in seiner reichen harmonischen Mannigfaltigkeit. Dann schließt sich von dem 17. Vers an die Epistel des dritten Epiphaniensonntags an, und man sieht im Glanze apostolischer Worte am Sonntage, wo das Evangelium von der Heilung des Aussätzigen, dann des Knechtes des Hauptmanns von Kapernaum erzählt, in der Epistel die christliche Liebe zu den Feinden, wie sie Kohlen auf die Häupter sammelt und die abscheulichste Seelenkrankheit, die es geben kann, die häßlich ist, wie der Aussatz, und träg zum Guten wie ein Gichtbrüchiger, den Haß, auszutilgen und zu heilen sucht. Da laßt uns nun fröhlich zu unsrem heutigen Texte gehen, den Gedanken der Textwahl in Erinnerung, und nicht verlangend, daß im einzelnen große Aehnlichkeit und Beziehung auf’s Evangelium hervortrete.

 Voraus stellen wir noch eine kleine Bemerkung. Der Zusammenhang zwischen Evangelium und Epistel des heutigen Tages liegt, wie bereits gesagt, in der Aehnlichkeit, welche zwischen der Entwicklung des äußern Lebens JEsu und des innern Lebens Seiner Heiligen ist. In der That Zusammenhang genug. Es ist aber noch ein andrer Zusammenhang zu bemerken, der nemlich, zwischen dem heutigen epistolischen Texte und dem Epiphanientage. Evangelium und Epistel des erstgenannten Festes schließen mit den Opfergaben ab, welche die Weisen dem HErrn brachten und der einst die Völker und ihre Könige Ihm bringen werden. Die heutige Epistel dagegen beginnt mit der Hervorhebung eines Opfers, welches wir Gott schuldig sind, welches auch noch von höherem Werth ist, als Gold, Weihrauch und Myrrhen. So tönt also die Stimme des Epiphanienfestes in die Epiphaniensonntage herein und das Volk des HErrn JEsus, deßen Leben uns beschrieben wird, erscheint sogleich in priesterlicher Zier, im Opfer und heiligen Gottesdienste begriffen. Da ist denn der Zeit am schönsten ihr Recht geschehen, und der Epiphaniensonntag an das Epiphanienfest durch die goldene Fessel eines heiligen gemeinschaftlichen Gedankens geknüpft, – und zugleich das Christenleben, welches geschildert werden soll, im Glanze der heiligsten Salbung als ein Leben der geistlichen Priester dargestellt.

 Ohne Zweifel werdet ihr nach Erwägung dieser euch vorgelegten Gedanken ein wenig bereiteter sein, mit mir in den epistolischen Text selbst hineinzugehen, und ich bitte euch nur, daran zu denken, daß ich bereits Eingangs gesagt habe, es verlaufe unser ganzer heutiger Text in drei Abschnitten, man sehe das Leben der Christen zuerst in seinem Verhältnis zu Gott, dann im Verhältnis zur Welt und endlich im Verhältnis zur Kirche.

 Das Verhältnis zu Gott ist vielfach dargelegt in dem Worte „Opfer“. „Ich ermahne euch, lieben Brüder, durch die Erbarmung Gottes, eure Leiber darzustellen zum Opfer, das da lebendig, heilig, Gott wolgefällig sei, euer vernünftiger Gottesdienst.“ Die Heiden, auch die Juden brachten

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 088. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/95&oldid=- (Version vom 1.8.2018)