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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gott Opfer dar, die außer der Person des Opfernden lagen, Thiere, welche ihr Leben aufgeben mußten, um Opfer zu sein, so daß also vom Opfer der Tod unzertrennlich war. Diese Art und Weise, Gott blutige, sterbende, todte Opfer darzubringen, deutete auf Christum und hörte mit dem einzigen, ewig giltigen Opfer des blutigen, sterbenden, todten Leibes und Leichnams JEsu Christi auf. Unsre Versöhnung ist vollbracht, es sind mit Einem Opfer in Ewigkeit alle vollendet, die geheiligt werden. Wer will zur Versöhnung durch neue Versöhnopfer etwas hinzu thun? Doch sind damit nicht alle Opfer im neuen Testamente abgethan, viele Stellen des neuen Testamentes beweisen, daß es noch Opfer gibt, und schon der erste Vers unsrer heutigen Epistel, von dem wir eben reden, zeigt das Dankopfer, welches wir Gott bringen dürfen, ganz hell und klar. Das Dankopfer, sage ich, denn alle unsre Opfer sind Dankopfer, auch Brandopfer dazu, wenn du’s faßen willst. Das Opfer, von welchem in unserm Texte die Rede ist, ist unser Leib. Dieser Leib aber ist kein todtes Opfer, kein sterbendes, blutendes, sondern ein lebendiges, wie der Text sagt, sintemal wir unsre lebendigen Leiber dem HErrn zum Opfer darstellen sollen. Lebendige Opfer gab es im alten Testamente nicht, wenn auch bereits im Stande der Nasiräer der Gedanke einer persönlichen Hingabe an Gott den HErrn eingehüllt lag. Im neuen Testamente hingegen gibt es lebendige Opfer, nemlich die Opfer unsres Leibes, und unser Text lehrt es uns deutlich, daß sie heilig und Gott wolgefällig seien. Ja er sagt, die Darbringung solcher lebendigen Opfer sei nun mehr der vernünftige, wahrhaftige Dienst Gottes, unsers HErrn. Es ist wahr, daß im Griechischen an der Stelle des deutschen Wortes „vernünftig“ ein Ausdruck steht, welcher allenfalls auch in folgender Weise übersetzt werden könnte: „welcher sei euer, dem Wort gemäßer Gottesdienst.“ Da übrigens die Auffaßung „dem Wort gemäß“ doch schwieriger ist als die andere, und es im neuen Testamente allerdings der vernünftige Gottesdienst ist, dem HErrn die Glieder des Leibes aufzuopfern, so werden wir es wol am besten laßen, wie Luther und andre Uebersetzer es aufgefaßt haben; wir werden es für den vernünftigen Gottesdienst gelten laßen, daß man dem HErrn den Leib zum lebendigen, heiligen und Gott wolgefälligen Opfer gebe. Man wird zunächst nur aufzufinden haben, wie der Leib zu einem lebendigen Opfer werde, und warum diese Aufopferung des Leibes ein vernünftiger Gottesdienst heiße. Da wird man dann auch desto beßer begreifen, warum der Apostel seine Brüder zu Rom „durch die Erbarmungen Gottes“ anfleht und vermahnt, ihre Leiber Gott zum Opfer zu bringen.

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 In dem deutschen Worte „Opfer“, welches aus dem Lateinischen stammt, ist hauptsächlich die Hingabe deßen, was man opfert, an denjenigen ausgedrückt, dem alle Opfer vermeint sind. Das deutsche Wort ist ganz verwandt mit „Gabe“. Anders ist es mit dem griechischen Worte unsers Textes, in ihm liegt der Gedanke ausgesprochen, daß sterben muß, was geopfert werden soll; es bedeutet zunächst ein blutiges Opfer. Während nun unser Leib mit dem Namen bezeichnet wird, der an den Tod des Opfers erinnert, wird doch der Zusatz gemacht, daß der Leib ein lebendiges Opfer sei. Daraus schloß man im Altertume, daß also von einer Abtödtung des Leibes die Rede sein müße, aber nicht von einer solchen, die den leiblichen Tod nach sich führt, sondern von einer gemäßigten, bei welcher des Leibes Leben bestehen kann. Das Opfer wäre darnach nichts anders, als eine um Gottes Willen vorgenommene Abtödtung, Kasteiung und Zähmung des Leibes, bei welcher man die Gewisheit hat, Gottes heiligen Willen zu vollziehen. Wenn der Apostel Paulus an einer Stelle sagt, er betäube seinen Leib; wenn andre Stellen dieser Art in der heiligen Schrift nicht mangeln; wenn neben der christlichen Freiheit im Genuß von Speis und Trank bei den Heiligen des neuen Testamentes die Uebung des Fastens hergeht und keineswegs verboten, sondern frei gegeben und von dem Mund des HErrn JEsu selber mit Maß und Regel versehen wird: so gehört das alles zusammen in das Kapitel vom Opfer des Leibes und in unsern Text. Man darf sich dies Werk der Aufopferung nur nicht als ein trauriges, betrübtes Geschäft vorstellen, sondern als ein solches, das nach der Anordnung JEsu mit gesalbtem Angesicht und Geiste geschieht. In der alten Zeit, ja bei den Römischen und Orientalen auch in der neuen Zeit, haben sich viele mit allem Ernst darauf verlegt, ihren Leib durch Abtödung zum Opfer zu machen. Das Altertum liefert große Beispiele, die uns nicht blos befremden sollten, die wir bewundern dürften,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 089. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/96&oldid=- (Version vom 1.8.2018)