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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

der Erde abgeschnitten, in Gottes Scheuer eingeheimst und dann das Unkraut mit dem Boden, auf dem es gewachsen, dem Feuer übergeben werde. Wenn es so lautete, so würde man den Gedanken faßen können: also ist die Erde nicht des HErrn, sondern des Teufels Acker gewesen und sie hat drum einerlei Theil mit den Kindern der Bosheit und ihrem Fürsten, dem Teufel; also hatten die Kinder der Bosheit einen siegreichen Anspruch an die Erde, und sie ist verflucht wie jene selbst. Nun aber das Unkraut ausgegätet wird, erkennt man, daß es mit Unrecht auf dem Acker stand, − und da es in den Feuerofen geworfen und erst hernach die Erde mit Feuer verbrannt wird, so ist klar, daß es ein anderes Feuer ist, welches die Widerwärtigen empfängt, und ein anderes, welches die Erde verzehren wird. Was die Widerwärtigen verzehrt, ist ein ewiges, unsterbliches Feuer der Hölle; was die Erde verzehrt, ist ein zeitliches, vergängliches Feuer, das nur Raum macht für den Aufbau einer neuen Erde. Die Erde, wie sie annoch steht, ist also nicht ein verfluchter Acker Gottes, sondern eine Creatur, die sich sehnt nach der Offenbarung der Kinder Gottes, weil auch sie dann frei werden wird vom Dienst des vergänglichen Wesens, zu dienen dem lebendigen Gott.

 Die Gerechten werden am Ende nicht von den Bösen geschieden werden, sondern die Bösen von den Gerechten; denn nicht haben sich diese in das Recht jener, sondern jene in das Recht dieser eingedrängt, und es muß gezeigt werden, wer das Recht und wer das Unrecht hatte auf dem Acker der Welt. Die Bösen werden vor den Gerechten von der Erde genommen; denn die Gerechten sollen Zeugen werden der gerechten und vollkommenen Scheidung, welche die Engel Gottes nach ihrer heiligen Weisheit vornehmen werden. Die Frommen sollen auf dieser Welt noch alleine stehen in ihrem vollen Rechte an den Acker, auf dem sie gewachsen sind. Sie sollen ihre Lust sehen an ihren Feinden und des Sieges froh werden, den ihnen Gott verleiht. Wenn ich sage: „Sie sollen ihre Lust sehen an ihren Feinden“; so weiß ich wohl, was sich bei einer solchen Aeußerung in den Herzen mancher unter euch für misbilligende Gedanken erheben werden, als hätte ich den Menschen, die Gottes Waizen heißen und in Seinen ewigen Scheuern ruhen sollen, eine sündliche Schadenfreude zugeschrieben. Allein, das kam mir nicht zu Sinn! Wenn die Aernte der Erde gekommen ist und die Summe aller Dinge, auch aller Sünde gezogen wird; dann erstirbt in Gottes Heiligen jede Sünde, und von dem Leben jenes Tages gilt ohne Zweifel, was vom Tode geschrieben; dann ist man gerechtfertigt von jeder Sünde. Aber eben drum wird man so ganz in Gottes Willen und in Gottes Freude leben, daß man sich auch Seiner Gerichte freuen wird: denn dann beginnt Gott zu werden Alles in Allem. Die Heiligen Gottes werden dann nicht bloß gesiegt haben über alles Unkraut der Welt, sondern sie werden auch Triumphe feiern − und es wird von allen Lippen der Auserwählten das wonnevollste, anbetendste Dreimalheilig erklingen. Gott wird gerechtfertigt sein in allen Seinen Wegen; auf alle Seine Wege hienieden wird ein vereintes Licht der Heiligkeit und Barmherzigkeit fallen, und wir werden erkennen, wie groß unsre Schwachheit war, als wir über die jammervollen Folgen des Mischzustandes der Welt so manchmal klagten, als es fast den Anschein hatte, als müßten wir um Gottes Gerechtigkeit sorgen und Ihn, den frommen HErrn, vor Fehlern warnen.

 Dann werden aber auch „die Gerechten − und gebe Gott, wir unter ihnen! − leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich.“ So wie das Unkraut entfernt und seinem ewigen Loose übergeben sein wird, werden die Gerechten aufleuchten wie die Sonne. Sie wird kein ewiger Feuerofen aufnehmen, sondern im irdischen Feuerofen der Trübsal und Anfechtung gereinigt und lauter geworden, werden sie selber wie ewige Lampen, ja wie Sonnen zu Gottes Ehren leuchten in Seinem weiten Hause. „Sie werden leuchten“; heißt das: „sie werden selig sein“, oder: „sie werden heilig sein“? Ich achte, es ist keine Trennung mehr anzunehmen. Sie sind in ihres Vaters Reich − und also selig und heilig vereint: alle Seligen sind heilig, wie alle Heiligen selig sind. Wie die Sonne aufleuchtet und hervor kommt in ihrer Pracht, so werden sie dann ihren ewigen Tag der Ehren beginnen, feiernd, selig, herrlich!

 Von dem Unkraut wird gesagt, daß es in Bündlein gebunden werden soll; von dem Waizen wird es nicht gesagt. Man könnte daraus den Schluß auf eine sehr große Zahl von Unkraut und auf eine bei weitem geringere Anzahl von Waizen machen. Und richtig wird, wie andere Stellen der heiligen Schrift beweisen, der Gedanke sein, auch wenn er kein richtiger

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 098. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/109&oldid=- (Version vom 28.8.2016)