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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

sein? Wie der Sonnen Licht das Angesicht des Mondes beleuchtet, so beleuchtete der Glanz des HErrn Mosen und sein Angesicht. Was ist Mondschein gegen Sonnenglanz? Das ist Mosis Klarheit gegen JEsu Klarheit! So groß war das Licht, das aus JEsu hervorbrach, daß auch Seinen Gewändern die Farbe davor zu entfliehen schien; sie wurden sehr weiß wie der Schnee, daß sie kein Färber auf Erden kann so weiß machen (Marc. 9, 3.), wie ein Licht (Matth. 17, 2.), daß auch sie glänzten. − Es hat Menschen gegeben, welche diese ganze Begebenheit für ein inwendiges Gesicht der Apostel ausgegeben haben. Es wäre etwas durchaus Wunderbares, wenn drei Männer einerlei inneres Gesicht hätten; aber ganz abgesehen von dem Wunderbaren, welches ja in jener Zeit der Wunder auch leicht hätte Statt finden können, ist ja dennoch diese Ausdeutung der Geschichte durchaus nicht möglich, ohne daß man den Evangelisten gröblich widersprechen und sie Lügen strafen müßte? Diese stimmen alle überein und ein jeder von ihnen hat noch besondere Züge aufbewahrt, welche, mögen sie auch klein erscheinen, dennoch den Verlauf der Sache zu einem Grade von Anschaulichkeit erheben, wie er bei innern Gesichten nicht vorkommt. Ist es doch, als sähe man alles mit eigenen Augen vor sich gehen! Wahrlich, wenn man beim Lesen der Geschichte aus der Wirklichkeit versetzt, der Welt entrückt würde und in eine Entzückung fiele, daß sich in dem inneren Seelenauge, wie in einem Spiegel, noch einmal alles vergegenwärtigte: das wäre zu begreifen, das ließe sich erklären. Aber wie man zweifelnd an einer Geschichte mäckeln kann, die zu herrlich ist, um bloß ein inneres Bild zu sein, und sich einem jeden, der sie vernimmt, durch überirdische Schönheit als völlig wahr beurkundet: das wäre nicht begreiflich, das ließe sich nicht erklären, wenn wir nicht die sündenvolle Nacht des Herzens kenneten, aus welcher jener Mangel an Einfalt und jene bedauernswerthe Blindheit stammt, die sich freut falsch zu sehen und nicht zu sehen, als hätte sie daran Gewinn. −

 Jedoch wir wollen uns den Blick nicht trüben, sondern auf Tabor bleiben und die „ehrliche Pracht des Königreichs Christi“ schauen. Zu dem HErrn, der von innerer Klarheit strahlte, kamen zwei himmlische Gestalten, gleichfalls in Klarheit. St. Lucas sagt wörtlich: „sie erschienen in Klarheit.“ Es waren Moses und Elias, der Gründer und der eifernde Erhalter des alten Bundes. Beide Männer, Moses und Elias, waren dem irdischen Leben auf eine außerordentliche Weise entnommen worden: Elias war lebendigen Leibes auf einem Wagen Gottes heimgeholt worden zu der ewigen Freude; Moses war zwar gestorben, aber von dem HErrn selbst begraben worden, und sein Grab ist verborgen bis auf den heutigen Tag. Daß Elias im Leibe der Unsterblichkeit erschien, unterliegt keinem Zweifel, weil er leiblich gen Himmel aufgefahren ist; dagegen wißen wir von Mose nicht zu sagen, ob auch er im Leibe der Auferstehung oder nur in sichtbarer Gestalt seiner heiligen Seele erschienen sei. Wie dem auch sei, verklärt, heilig, selig erscheinen beide in ihrem alten Heimathlande, und gewis keiner von beiden, so wonnevoll ihnen dieser Besuch auf Erden gewesen sein mag, kam aus nur eigener Wahl; gewis kamen beide als göttlich Gesandte, und ihre Anwesenheit auf Tabor beweist ohne Zweifel, daß der HErr zur Vollziehung himmlischer Geschäfte nicht allein die Engel, sondern auch die seligen Auserwählten gebrauchen kann. − Merkwürdig und besonders lieblich ist ein Umstand. Wir haben schon erinnert, daß Petrus, Johannes und Jakobus, während JEsus betete, eingeschlafen waren. Nun aber, da bereits die beiden himmlischen Gestalten vor JEsu standen, erwachten sie und erkannten nicht allein ihren verklärten HErrn und Meister, sondern auch die beiden Männer Mose und Elias, deren irdische, deren himmlische Züge sie nie gesehen hatten, deren Namen ihnen von niemand kund gethan wurde. Mose und Elias, obwohl im Himmel wohnend, kümmern sich um das Reich Gottes auf Erden, wißen davon, reden ja von Jerusalem, wie wir das noch besonders erwähnen werden, und von den wichtigen Dingen, welche in der nächsten Zeit in der heiligen Stadt geschehen sollen: es ist, als wären sie noch hier zu Hause, als wären sie mit allem bekannt. Und umgekehrt, Petrus redet von den himmlischen Boten zwar mit kindlicher, bereitwilliger Demuth, aber doch auch wieder so vertraut, als wäre er immer schon mit ihnen zusammengewesen. Hütten will er ihnen ja bauen: „Dir eine, spricht er zu Christo, Mosi eine und Elia eine.“ So sicher kennt und nennt er sie, so gerne will er bei ihnen sein und ihnen dienen! Damit ist uns ein Blick in die Ewigkeit aufgethan. Vom Tabor machen wir einen sichern Schluß auf die himmlische Stadt. Eben so wird es dort sein, alles

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/112&oldid=- (Version vom 28.8.2016)