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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

versagen, die schöne Lehre von der allgemeinen Berufung zu preisen. Eben so wollen wir auch nur wenig vom Abend des Arbeitstages und vom Schaffner, vom Ende der Welt oder des Lebens und von dem großen Richter reden, der im Namen des Vaters allen Arbeitern das Ihrige zutheilt. Alles das ist in unserm Texte nicht Hauptsache. Von dieser wollen wir reden, und sie können wir nicht beßer finden, als wenn wir das Evangelium in seinem Zusammenhang mit dem ihm vorausgehenden Capitel betrachten.

 Matthäus, Markus und Lukas erzählen, daß sich ein reicher Jüngling unserm HErrn genähert und nach dem Wege des ewigen Lebens gefragt habe, daß er aber von seinem Reichtum abgehalten worden sei, die von Christo bezeichnete Straße zu gehen. Darauf habe der HErr erklärt, daß ein Reicher nur schwer selig werden könne, und im Verlaufe hinzugesetzt, es sei überhaupt schwer und dem Menschen selbst geradezu unmöglich, selig zu werden. Darauf habe Petrus mit Beziehung auf die Liebe des reichen Jünglings zum Irdischen gesagt: „Siehe, wir haben alles verlaßen und sind Dir nachgefolgt: was wird uns dafür?“ Von diesem „was wird uns dafür“ hängt nun unser ganzer heutiger Text ab, denn er gehört zur Antwort auf diese Frage, − und es ist im ganzen Zusammenhang nichts, was den Satz widerlegte: „dieser Text belehrt uns über den Lohn, welchen Gott Seinen treuen Dienern gibt.“ Allerdings geben die Worte JEsu: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt“ und die damit zusammenhängenden: „Die letzten werden die ersten und die ersten die letzten sein“ Standpunkte, von denen aus man besondere Betrachtungen unsers Textes anstellen könnte; aber es wird doch immer die einfachste Betrachtungsweise sein, eine Antwort aus der Frage, also dieß Gleichnis unsers HErrn aus der Frage Petri: „Was wird uns dafür?“ zu verstehen. Ich werde deshalb wohl auch nicht fehlen, wenn ich euch einlade, mit mir nach unserm Evangelium eine Betrachtung über den Lohn Gottes zu halten. − Sicheren Verständnißes wegen will auch ich alles, was ich zu sagen habe, in die Form von Antworten auf folgende Fragen zusammenfaßen:

1. Gibt es im Reiche Gottes einen Lohn?
2. Worin besteht der Lohn?
3. Für wen gibt es einen Lohn?
4. Kann man Lohn empfangen und doch verwerflich werden?
5. Ist eine und dieselbe Sache immer nur Lohn oder kann sie auch jemand empfangen, ohne daß sie Lohn ist?

 Der HErr verleihe mir Gnade, eine jede Frage richtig und nach ihrem Maße zu beantworten; euch aber schenke Er Licht und Recht, in den Antworten zu erkennen und lebendig anzunehmen, was wahr ist.


 1. Die erste Frage, ob im Reiche Gottes von einem Lohne die Rede sein könne, habe ich mit Ja zu beantworten. Um dieß Ja zu beweisen, bedarf es kaum mehr als einer Hinweisung auf den bereits aufgezeigten Zusammenhang des Textes. „Wir haben alles verlaßen und sind Dir nachgefolgt, was wird uns dafür?“ Das ist doch wohl eine Frage Petri nach Lohn, welche der HErr, wenn Er von einem Lohne überhaupt nichts hätte wißen wollen, zurückgewiesen haben würde. Er weist sie aber nicht zurück, sondern Er verspricht Seinen Jüngern Throne, setzt ganz unaufgefordert eine Verheißung für alle hinzu, welche um Seinetwillen Entbehrungen erdulden würden, und erzählt überdieß unser Textesgleichnis, in welchem der Groschen des Lohns, die Verhandlungen über den auszutheilenden Lohn, die Austheilung des Lohnes und die Beurtheilung desselben den gesammten Inhalt ausmachen und eben so den Inhalt der Auslegung ausmachen müßen. Daraus ist allein schon offenbar, daß es irgend eine rechte Lehre von einem Gotteslohne in der heiligen Kirche geben muß, und dieser Blick in unsern Text reicht gewis hin, uns des Ja’s völlig gewis zu machen, das ich auf unsre erste Frage gesprochen habe. Indes erinnere ich euch doch noch zum Ueberfluß, daß in der heiligen Schrift neuen Testamentes auch sonst gar oft vom Lohne die Rede ist. Denket z. B. nur an eine Stelle der Bergpredigt (Matth. 5, 12.), wo es heißt: „Euer Lohn wird groß sein im Himmel!“ Denket an die ersten Capitel St. Pauli an die Römer, an Vers 7. u. 10. des 2. Capitels, wo Preis und Ehre und Friede und unvergängliches Wesen denen versprochen wird, die Gutes thun, die mit Geduld in guten Werken nach dem ewigen Leben trachten. Ist da nicht vom Lohn die Rede? − Und wie viele Stellen könnte man sonst aus der heiligen Schrift anführen, wenn nicht schon

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/118&oldid=- (Version vom 28.8.2016)