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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

für allen Gotteslohn, den wir empfangen. Das ist ja so völlig wahr, daß auch der Wille, der Muth, die Kraft, die Geduld zu guten Werken Gnade von Gott sind und daß Gott, wenn Er uns für irgend etwas eine Krone reicht, im Grunde nur Seine eigenen Werke krönt.

 Wenn man nun nach alle dem zu mir spräche: „So sag’ uns kurz und gut, was ist der Groschen, was ist unter dem Gotteslohne zu verstehen?“ so würde ich antworten: „Unter dem Groschen ist alles zu verstehen, was der HErr nach Seiner großen Gnade als besondere Verheißung auf das Verhalten der Menschen, im Einzelnen gesetzt hat.“ Es gibt zeitliche, es gibt ewige Verheißungen; es gibt geistige, es gibt leibliche; es gibt Preis und Ehre und unvergängliches Wesen; es gibt Apostelthrone, Sternenglanz und Würden und Aemter jenseits; es gibt Macht über zwei und über zehen Städte in der neuen Welt; es gibt hier auf Erden Sieg, Ruhe, Freude, langes Leben, Reichtum; − es gibt, man sehe nur die heilige Schrift drauf an, mancherlei einzelne Verheißungen Gottes für einzelne Arten und Stufen der Treue und Bewährung, und was wir nur der Art lesen, das gehört alles hieher, das gehört alles zum Groschen, das ist alles zusammengefaßt in das große Wort „Gnadenlohn“.

 3. Hiemit, geliebte Brüder, haben wir die Hauptfrage unter fünfen beantwortet. Damit sind die Antworten auf die noch übrigen schon bedingt und können leicht gegeben werden. Wir werden das alsbald an der dritten Frage merken: „Für wen gibt es Lohn?

 Unsre Antwort ist diese: Der Lohn Gottes ist theils ein solcher, den alle Menschen ohne Rücksicht, ob sie Christen oder Unchristen seien, empfangen können, theils ein solcher, welcher nur Christen verheißen ist. Gottes Verheißungen erstrecken sich zum Theil wie Regen und Sonnenschein, wie die Wohlthaten Seiner allgemeinen Liebe überhaupt, auf alle Welt, auf Seine Feinde, wie auf Seine Freunde. Es gibt aber auch Verheißungen, welche keiner auf sich beziehen kann, der nicht zum Reiche Gottes gehört. Zu der ersten Klasse gehört z. B. jene Verheißung Gottes: „Fleißige Hand macht reich.“ Reichtum ist also ein Lohn des Fleißes. Fleißig sein kann jeder, der Christ und der Unchrist; also kann auch jeder, der Christ und der Unchrist den Lohn des Fleißes empfangen. Zur zweiten Klasse gehören Verheißungen, wie diese: „Die Lehrer werden leuchten, wie des Himmels Glanz, und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.“ Lehrer, wie sie hier gemeint sind, die viele zu der wahren Gerechtigkeit weisen, gibt es nur im Reiche des HErrn; Verheißung und Lohn des himmlischen Glanzes ist also auf den Bereich der heiligen Kirche eingeschränkt.

 Daß unter den mancherlei Belohnungen die größten denjenigen zufallen werden, die mit Geduld in guten Werken nach dem ewigen Leben trachten, versteht sich von selbst, kann aber auch durch viele unmisverständliche Stellen der heiligen Schrift erwiesen werden. Es gibt innerhalb des Reiches Gottes mancherlei Gabe, darum mancherlei Treue und eben darum auch mancherlei Lohn. Gleichwie nicht ein Stern an Glanz ist, wie der andere, so ist auch nicht ein Christ wie der andere an Gabe und Treue und Lohn. Die Auserwählten, die dem Rufe Gottes zur Arbeit folgen und, während sie für Sein Reich arbeiten, zugleich an eigener, innerer Vollendung zunehmen, bei denen sich Gottes Macht inwendige wie durch sie nach außen erweisen kann, haben die größten Verheißungen, also auch in Hoffnung die größten Belohnungen. Beweis hiefür sind die heiligen Apostel, welchen Throne neben JEsu Thron verheißen sind. Zum Beweise können auch jene acht Seligpreisungen dienen, mit welchen der HErr Matth. 5. Seine Bergpredigt eröffnet; denn was sind sie anderes, als herrliche Gnadenverheißungen für verschiedene Arten und Stufen innerer Vollendung.

 Außerdem liegt es in unserem Texte klar zu Tage, daß niemand Lohn empfangen kann, als der da arbeitet, der mit Willen und Entschloßenheit Gottes Zwecke fördert. Ob einer an sich, ob er an andern arbeitet nach Gottes Sinn und Willen, ob er, wie es sein soll, beides thue: arbeiten muß er, und wie er arbeitet, bekommt er seinen Lohn nach der Verheißung des HErrn. Wir sehen im Gleichnis, daß von den Arbeitern im Weinberg manche murren, also inwendig keine sehr hohe Stufe der Vollendung erreicht haben, aber dennoch arbeiten, den ganzen Tag arbeiten und Abends Lohn empfangen konnten. Zur Arbeit waren sie berufen, ihre Arbeit haben sie geleistet, dieselbe wird auch nach dem Worte des Hausvaters angesehen und beurtheilt. So sehen wir, daß die andern, später gemietheten Arbeiter von dem Herrn wohl auch einen Groschen empfangen und zwar ohne Versprechen, also auch nicht im Sinne des Lohnes:

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/120&oldid=- (Version vom 28.8.2016)