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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

dennoch würden sie ihn auch als pur lautere, unverheißene Gnade nicht empfangen haben, wenn sie nicht gearbeitet hätten. Es können mancherlei Sünden und Mängel einem Menschen anhangen und er kann dennoch, weil er in einem Stücke dem Zug und Triebe des guten Geistes folgt und arbeitet, einen bestimmten Lohn empfangen; Müßiggang aber und Trägheit hat gar keine Verheißung, auf ihrem Boden wächst keinerlei Kranz und Krone, sie schließen von allem Lohn aus. Nichts kann gewisser sein, als daß der Gotteslohn, der aus reiner Gnade fließt, nur dem Fleißigen zu Theil wird. Dem Hoffärtigen widersteht Gott, und an dem Trägen geht Sein Segen vorüber mit verschloßener Hand.

 Ja, so gewis ist das, ein solcher Greuel ist dem HErrn die Trägheit, eine solche Zier ist in Seinen Augen der Fleiß, daß wir es wagen können, über unsern Text hinauszugehen, und im Sinne desselben zu behaupten, daß Gottes Wohlgefallen den Fleiß in irgend einem Guten, und den Wiederstand gegen irgend etwas Böses überall hin, bis in die weltlichste Welt, ja bis in die Hölle begleite, daß es Verheißungen, mit welchen dieser Satz zu beweisen ist, genug gebe und Gottes Lohn bei Seinen Feinden, und wenn mans recht verstehen will, selbst in der Hölle. Es kann einer z. B. ein Kind der Welt sein zehnfach, aber er kann etwa seinen Vater und seine Mutter in irgend einer Weise ehren; er kann aller bösen Dinge fähig sein, aber doch irgendwie die alten Eltern ehren, pflegen und ihnen sanft thun: meinst du, Gott im Himmel werde das unbelohnt laßen? Der HErr wird einem solchen Weltkinde Seine Treue halten und nicht zu Schanden werden laßen an ihm das Gebot, welches Verheißung hat. Und thun wir einen Blick in die Hölle! Sodom und Gomorrha soll es beßer ergehen, als Capernaum, sagt der HErr. Also gibt es selbst in der Hölle Stufen der Qual und Pein, also wird auch dort ein Unterschied gemacht, also mildert auch dort Gottes Verheißung bei etlichen das unaussprechliche und unabänderliche Elend, man kann auch dort eine manchfaltige Gerechtigkeit Gottes erkennen und man könnte es wagen, zu behaupten: die mancherlei Stufen der ewigen Qual werden durch das verheißende − wenn schon auch durch das drohende − Wort des HErrn abgegränzt, stufenabwärts bis zur Qual Beelzebubs steigt man an abnehmender, stufenaufwärts an zunehmender Verheißung, nur zu allerunterst ist gar keine Verheißung, kein Schatten irgend eines Lohnes, nichts als Erfüllung der Drohungen Gottes, nichts als Strafe. Der HErr, der Sich erbarmet aller Seiner Creaturen, wird nach Seinem Worte so Lohn wie Strafe, Herrlichkeit wie Qual zumeßen mit genauesten Maßen, auf daß der Preis Seines gerechten und grundgütigen Wesens, man verstehe mich recht, in der höchsten Höhe, aber auch von den ewig verlorenen Seelen und Zungen in der tiefsten Tiefe erschalle und nirgends verleugnet werde. Die Gnade bestimmt den Lohn, Gnade mildert die Strafe, Gnade hat das Recht festgesetzt, nach dem es seit dem Tage auf Golgatha hergeht, − Gnade und Recht gehen zusammen und ordnen Himmel und Hölle.

 Nach dem Gesagten können wir die aufgeworfene Frage: „Für wen gibt es Lohn?“ so beantworten, daß wir sprechen: Lohn gibts überall, nur nicht in der tiefsten Tiefe, wo Satan wohnt, nur nicht in der höchsten Höhe, wo Gott wohnt; zwischen inne ist überall Gnade und Gerechtigkeit in irgend einer Weise zu bemerken und ein Becher kalten Waßers, einem Jünger dargereicht, wird berücksichtigt, selbst wenn die Qualen der Hölle zugemeßen werden.

 4. Die fernere Frage: „Kann man Lohn empfangen und doch verwerflich werden?“ ließe sich auch so ausdrücken: „Geht der Lohn immer Hand in Hand mit dem ewigen Leben?“ Die Frage ist bereits beantwortet; was ich zu sagen habe, ist besondere Hervorhebung eines einzelnen, schon vorgetragenen Satzes. Wenn ein Seelsorger seinen Schafen in einer Predigt nichts zweimal sagen dürfte und bei Anordnung deßen, was er zu sagen hat, immer nur nach den Regeln eines strengen, übersichtlichen Zusammenhangs zu Werke gehen müßte, und niemals Erlaubnis, um nicht zu sagen „die Pflicht“ hätte, die Nothdurft seiner Hörer und das Heil ihrer Seelen vorwalten zu laßen: dann hätte ich diese Frage nicht aufzuwerfen brauchen: ich hätte mir das Reden und euch das Hören ersparen können. Ich erachte aber, daß eine nachdrückliche Wiederholung ganz am Ort ist. Wenn der heilige Apostel sagt: „daß ich euch immer einerlei schreibe, verdrießt mich nicht, und macht euch desto gewisser“; so erlaubt auch mir, euch unverdroßen etwas zweimal zu sagen, und laßt mir die Hoffnung, daß ihr dadurch desto gewisser werdet. Ich beantworte

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/121&oldid=- (Version vom 28.8.2016)