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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Versucher zur Seite trat − und unterstützt von solchen Umständen wagte ers, den HErrn nicht bloß zu wunderbarem Brotschaffen zu reizen, sondern auch zu noch zwei andern Dingen, welche dem Heiligen Gottes zuzumuthen, allerdings nicht bloß satanische Verschlagenheit, sondern auch in der That satanische Verblendung dazu gehörte. Wollen wir die Versuchungen des HErrn auf Gedanken zurückführen, die ihnen zu Grunde liegen; so können wir sagen: der Satan versuchte den HErrn zu Unzufriedenheit und Ungeduld im Stande der Erniedrigung, zu eiteler Durchbrechung der von Ihm Selbst für Sein Erdenleben gewählten Schranken Seiner Herrlichkeit und Ehre, zu fürwitziger, ungerechter, falscher Ergreifung der Weltherrschaft, die Er zwar bekommen, aber nicht vom Satan zu Lehen nehmen, sondern mit Seinem Blute erwerben und gewinnen sollte. − Zwar waren die Umstände des Kampfes und der Versuchung Christi erschwerend, aber der HErr fiel nicht, Sein Geist neigte sich mit keinem Gedanken, Sein Gemüth mit keinem Hauch von Begier dem Versucher zu. So gewis wir anzunehmen haben, daß die Seele des Erlösers versuchlich war, so gewis der Angriff des Teufels ein wahrer Angriff, der Widerstand des HErrn ein wahrer Widerstand, der Kampf ein rechter Kampf war; so gewiß ist es auch, daß der Sieg des HErrn ein vollkommener war, und daß in diesem Kampfe auch nicht die leiseste Befleckung der Sünde an des heiligen Kämpfers Seele hängen blieb. Was Eva im Paradiese ohne Beständigkeit und darum ohne sieghaftes Glück versuchte, den Satan mit Gottes Wort zurückzutreiben; das hat JEsus untadelich vollbracht. Wie bald war Evas Sinn umnebelt und verlockt; dagegen wie klar, wie ruhig, wie völlig mächtig deßen, was Er sollte, sehen wir unsern HErrn. Auf jeden Antrag des Satans folgt eine helle, überwindende Antwort, gegen welche der Satan nichts mehr zu erwiedern hat, weil auch nichts erwiedert werden kann. Und zwar ist eine Antwort immer stärker als die andere, ein Sieg glänzender als der andere, eine Niederlage des Satans völliger und schmachvoller als die andere. Weit entfernt, daß es Christus für Größe gehalten hätte, die erwählte stille, steile Bahn zu verlaßen und mit durchbrechender Kraft Sich der Welt als Den zu zeigen, der Er war, bleibt Er vielmehr wie Seinem Ziele so dem Wege treu, der zu Ihm hinführt und erscheint uns und allen den Seinigen hier und dort gerade in dieser demüthigen Beständigkeit um so erhabener. Statt Sich Wunderbrot herbeizuschaffen, erweist Er Sich vom Brote unabhängig; statt Sich von des Tempels Zinnen ins Thal hinabzulaßen und Sich von Engeln tragen zu laßen, bleibt Er auf „Seinen Wegen“ als der Heilige Gottes und die Engel jauchzen Ihm zu; statt vom Satan das Reich zu nehmen oder gar − kaum dürfen wir so etwas erwähnen! − vor ihm niederzufallen, herrscht Er ihn von Sich durch ruhige, aber gewaltige Wiederholung des ersten Gebotes. Seine heilige Freiheit und Unabhängigkeit von irdischer Begier, Sein vollkommen reiner, treuer Wille, Seine unnahbare Stärke werden vor den Engeln offenbar − und sie kommen und dienen Ihm, bringen Ihm Brot und Himmelsstärkung und beweisen es mit der That, wie gerne sie Ihn auf ihren Händen tragen. − Hier haben wir die Geschichte der Versuchung der ersten Menschen, nur alles in vergrößertem Maße. Der zweite Adam leistet, was der erste nicht leisten wollte. Wiedergewonnen und wiedergekommen ist die anerschaffene Herrlichkeit und Heiligkeit des Menschen und der Himmel hat ein Schauspiel, das er im Paradies umsonst zu schauen begehrte. Die Ehre der Menschheit ist durch den Menschen JEsus gerettet, obwohl Ihm gegenüber alle andern Menschen in Nacht verschwinden und Er nicht blos wie keiner sonst, sondern ganz allein in Ehre und Tugend leuchtet.

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 Und wie Er hier gekämpft und gesiegt hat, so kämpfte und siegte Er immer. Denn es ist ja dieß nicht die einzige Versuchung, nicht der einzige Kampf des Teufels mit JEsu; Lucas schreibt 4, 13. ausdrücklich: „der Teufel wich von Ihm eine Zeit lang,“ also nicht auf Nimmerwiederkehr, im Gegentheil wußte er gar zu wohl, was es ihm galt, als daß er nicht seine wenn schon vergeblichen Anfechtungen hätte öfters wiederholen sollen. Wir wollen gar nicht einmal fragen, wo etwa im Leben JEsu Spuren von Kämpfen mit dem Satan sich zeigen; wir wollen nur an jene Nacht erinnern, da der Satan in Judas Ischarioth fuhr, da die Hölle sich zum Kampfe rüstete und des Weibes Same die Ferse über dem Kopf der Schlange lüftete, da der Menschensohn im Namen seines Ihm verwandten menschlichen Geschlechtes mit dem Fürsten der Welt und der Hölle zu ringen begann, da die Macht und Stunde der Finsternis über Ihn hereinbrach. Daran wollen wir erinnern − und an die Gottverlaßenheit

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/138&oldid=- (Version vom 30.5.2021)