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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Gesindels getadelt fühlen; aber nein, sie fühlen sich dadurch fast geadelt. Es ist süß, verehrt zu werden, und im wallenden Staub zu wandeln findet man ganz schön, wenn es nur unter dem Lob der Staubigen, der Staubbewohner geschieht. Ach, wie eitel ist der Mensch, wie hoffärtig und hochmüthig, − und, so demüthigend es ist, so zerknirschend, diese Frage ohne Erfolg zu thun, ich möchte doch wißen, ob außer dem Einen, den alle Engel loben, noch einer je auf Erden gewesen ist, oder kommt, der in diesem Stücke vorwurfsfrei durchs Leben und zu Grabe geht?

 Und noch die dritte Versuchung Christi ist zur Qual unserer armen, sündigen Seelen auf uns anzuwenden, die nicht minder reizende und überwindende Versuchung der Macht und Gewalt. Es kann einer Macht und Gewalt von Gott haben, wie er Brot und Ehre von Ihm haben kann. Es kann einem die Macht und Gewalt, die er hat, eben so gut zur Demüthigung gereichen, wie die, welche er nicht hat, welche andere haben und über ihn ausüben. Das kann alles sein; aber davon reden wir nicht, sondern davon reden wir, daß Macht und Gewalt, man mag sie haben oder erst haben wollen, zur Versuchung werden kann. Sie kanns und sie wird es wirklich! Wie gerne der Mensch gewaltig entweder ist oder wäre! Gehorchen ist leichter, angenehmer, sorgenfreier als befehlen, und einen fremden Willen vollziehen ist viel befriedigender als den eigenen durchführen und herrschen. Wer begreift das nicht? Und wer ist nicht doch blind dafür? Der Mensch will herrschen, wenn nicht in Landen, so doch in geringen Kreißen, und Gewalt ausüben, selbst wenn es ihm übel bekäme, däucht ihm edel und groß. Alles will herrschen − sieh nur hinaus! Was bewegt denn die Völker, was regt sie auf, was ist das Eigentümliche der Zeit, welches von ihr selbst so sehr gepriesen wird? Die Gewalt soll in die Hände Aller kommen und vertheilt werden; alle wollen in einem antichristlichen Sinne ein königliches und priesterliches Volk sein, Könige und Priester richten. Ach daß das so und nicht anders ist, daß wir so versucht sind! Ach der Stunde der Versuchung, die über den Erdkreiß kommen ist!

 Es ist eine traurige, traurige Zeit um der Versuchungen willen, in denen sie hingeht, − und noch trauriger ist sie, weil wir in unsern Versuchungen meistens fallen. Das Brot, die Ehre, die Gewalt, sie versuchen uns nicht umsonst. Jedes von den dreien ist zu einem Götzen geworden, dem unzählige Seelen zum Schlachtopfer fallen. Was thut der Mensch nicht alles um der Ehre, um der Gewalt und um des Brotes willen! Ich bitte euch, meine Brüder, ihr wollet bedenken, daß ich nicht von andern rede und euch oder mich ausschließe. Im Gegentheil, am eigenen Herzen und in der Beobachtung derjenigen, die mich zunächst umgeben, habe ich die Erfahrungen gemacht, die mir mein schmerzlichstes Seufzen auspressen. Ach das Brot, wie ist es so gar vielen auch unter uns eine unschuldige Ursache vieler großer Sünden geworden! Ach die Ehre, wie viele auch unter euch hat sie aufgebläht! Ach die Gewalt, wie oft ist sie auch in den kleinen Kreißen unserer Verhältnisse ein Gegenstand maßlosen Strebens und der häßlichsten Leidenschaft geworden! Wir und unsre Väter und unsre Kinder und unsre Nachbarn und unser Volk, zu dem wir gehören, − wir haben uns vielfach in JEsu Versuchungen gesehen, es ist uns geschehen wie Ihm; aber wie haben wir uns in ihnen bewährt! Bestanden sind wir nicht! Es wäre gut, wenn wir es einsähen, wie wir sollten, und fühlten, wie sichs gebührete, wenn wir einmal dahin kämen, diesen drei Götzen der Welt abzusagen und Brot, Ehre und Gewalt sein zu laßen, was sie sind! Aber ob das geschehen wird: das ist eine ganz andere Frage, und zu hoffen scheints nicht.

 Es scheint um so weniger zu hoffen, wenn wir in Betrachtung ziehen, wie ganz leichten Kaufes wir unsern Versuchungen zur Beute werden. Wir haben auch die Waffen JEsu und der Geist JEsu ist uns in der Taufe zugesagt, ja gegeben, und wie bereit ist er, uns JEsu Waffen führen und den Sieg gewinnen zu lehren! Aber wir führen sie nicht, wir wollen sie auch nicht führen, nicht führen lernen; diese Waffenübung ist uns widerwärtig, noch ehe wir uns zu ihr verstehen, wir mögen ihrer nicht gedenken und wenn der Geist uns zuweilen dringend erinnert, wie leicht wir siegen könnten, so widerstehen wir mit empörtem Herzen! Ach wie laßen uns Gottes Worte und heilige Gedanken so gar kalt! Es ist zum Erstaunen, ja, ja zum Erstaunen ist es, daß wir, obwohl getaufte Christen, die, wenn sie nur wollten, alles Gute könnten durch den, der sie mächtig machen will, so gar nichts leisten. Wir könnten uns täglich im Bade der Kräfte einer zukünftigen Welt reinigen, erquicken, stärken, mit Christi und Seines Geistes Waffen siegen, einen Sieg

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/140&oldid=- (Version vom 28.8.2016)