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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Hand Seines Geistes Gelegenheit ist, unsern Glauben zu stärken. Glaube ohne Kampf erstarkt nicht, wird nicht geläutert, naht Gott nicht, wie er soll. Glaube und Kampf gehören zusammen. Der Glaube muß von Fleisch, Welt, Sünde und Teufel immer und immer wieder angegriffen werden. Aus der Anfechtung, in die Gott ihn führt, geht er fröhlich, ruhig, muthig, rein und stark hervor. − Rechnen wirs also getrost zur ersten Gabe des HErrn JEsu an, daß Er dem Weiblein Seine Hilfe verzog.

 Die zweite Gabe JEsu war die Anerkennung ihres Glaubens. „O Weib, sprach Er, dein Glaube ist groß!“ Es klang wie Lob, und wer wills läugnen, es war auch Lob. Und dieß Lob nenne ich eine Gabe JEsu, vielleicht zu manches Zuhörers ängstlichem Bedenken, da ja Lob gefährlich ist. Es war zwar zunächst nur ein Lob Gottes, des Heiligen Geistes, − denn Der hatte den großen Glauben gewirkt. Aber das Weiblein hatte doch den großen Glauben, und die Menschen pflegen nicht allein diejenigen Lobsprüche, welche ihrem scheinbaren Verdienste und dem Werke ihrer Hände gezollt werden, zum Stolze anzuwenden, sondern auch diejenigen, welche ihnen wegen der Gaben Gottes geschenkt werden, die sie ganz augenfällig ohne alles eigene Verdienst und Würdigkeit besitzen. Jeder Besitz ist insofern gefährlich. Menschen, die für die Demuth gerne sorgen, können deshalb leicht auf den Gedanken kommen (den ihnen Christus verzeihe), als würde es beßer gewesen sein, wenn der HErr dem Weiblein kein Lob gesprochen hätte. Allein Christus weiß eines Theils Sein Lob gar weislich auszutheilen, Er gibt es denen, die ihre eigene Gerechtigkeit verlaßen und Ihn allein ergreifen, die ohne Hochmuth demüthig zu Ihm fliehen. Andern Theils weiß ER, daß wahres Lob wie jede Wahrheit, zwar misbraucht werden kann, aber nicht misbraucht werden muß. Er leitet Seine Hilfe für die Betrübte mit der Anerkennung ihres Glaubens ein und bahnt so Seiner Hilfe den Weg. Dem Zagenden, der genug Ungemach ertragen, ist Anerkennung deßen, was ihm Gott gegeben, nicht ein Flügel des Hochmuths, sondern des Glaubens. Er empfängt eine solche Anerkennung aus wahrhaftigem Munde wie eine Weißagung zukünftigen Segens als Stärkung der Geduld, − und muß keineswegs dadurch hochmüthig, kann im Gegentheil allewege dadurch gefördert werden. Die das Lob weder für sich, noch für andere zu gebrauchen wißen, die es nicht gebrauchen können, ohne es zu misbrauchen, entbehren für sich und andere ein Erziehungsmittel Gottes, das Er und Seine Heiligen allezeit gewis mit nicht minderem Segen angewendet haben, als gerechten liebevollen Tadel. Dank sei dem HErrn, welcher das arme cananäische Weiblein durch Sein heiliges Loben Seiner Hilfe völlig gewis gemacht und ihr zerschlagenes Herz auf eine überraschende Erhörung vorbereitet hat.

 An die Anerkennung des Glaubens reiht sich eine starke Verheißung an: „Dir geschehe, wie du willst.“ Demüthige, gläubige Seelen empfangen in ihren Nöthen die Verheißung, daß ihnen alles werden solle, was sie wollen. „Der HErr wird dir geben, was dein Herz wünschet“ − ist die Sprache der Psalmen, welche ganz mit unserm Evangelio übereinstimmt. Es ist in dem Worte: „Dir geschehe, wie du willst,“ so viel ausgedrückt, daß man es fast zu viel nennen könnte. Aber es ist doch, beim Lichte besehen, nicht so. Der gedemüthigte und gläubige Mensch hegt keinen Willen mehr, den man Eigenwillen nennen könnte. − Er hat wohl einen Willen, einen starken Willen, der sich in zuversichtlichen Gebeten ausspricht; aber ein starker Wille ist nicht einerlei mit sündlichem Eigenwillen. Der gedemüthigte Mensch will nichts, als JEsu Willen; was er mit zuversichtlichem Begehren ergreift, hat er zuvor als recht und gut und als den Willen Gottes erkannt. Wie der HErr zu ihm antwortend spricht: „Dir geschehe, wie du willst,“ so hat der Gedemüthigte zuvor gebetet: „HErr, mir geschehe, wie Du willst.“ So ist es bei der cananäischen Mutter. Sie weiß gewis, daß ihr zuversichtliches Beten recht und Christo angenehm sei, denn sie betet ja gegen den Teufel, für Erlösung eines Menschenleibes, einer Menschenseele. Da kann man doch kühnlich beten und des HErrn Hilfe zuversichtlich faßen, wenn man sich in JEsu Macht aus des Satans Banden reißen will. Daher die freundliche, huldreiche Antwort des HErrn.

 Und daher endlich auch die Erhörung. Die fürbittende Mutter hatte die Sache ihrer Tochter ganz zu der ihrigen gemacht und ihr gläubiges Vertauschen gefällt dem HErrn. Man darf in eigenen und in fremden Nöthen beten, das sieht man hier; man soll sogar in fremden Nöthen wie in eigenen beten. Das sind heilige, himmlische Seelen, die so in andern leben, daß sie fremdes Weh wie eigenes empfinden und so

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/146&oldid=- (Version vom 28.8.2016)