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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

gibts keinen Stein, den Er zu Brot verwandeln möchte; Er lebt von des Vaters Wort. Aber die Menge, die das nicht kann, die kann Er mit irdischer Speise nähren, die will Er nähren und nährt sie auch. − Wie sind wir dagegen anzusehen? Wir können nicht viel thun, aber wenn und wo wir etwas können, da laßen wir es an uns kommen; wir kommen nicht entgegen, nicht zuvor − und hätten es doch so gerne, daß man uns entgegen käme, wenn wir selbst in Noth sind!


 Der HErr will helfen, speisen, aber wie soll das geschehen? Es ist ja doch nur ein wenig Brod und Fisch da, und die Jünger wißen auf Sein Befragen gar keinen Rath. Seine liebsten Freunde stehen hierin weit hinter Seiner Mutter zurück, die es auf der Hochzeit zu Cana so schön verstand, das Räthsel menschlicher Rathlosigkeit Ihm zur Lösung zuzuschieben. Sie hatten aus so vielen Wunden und Hilfleistungen, deren Zeugen sie gewesen, noch nicht gelernt, mit wem sie es zu thun hatten, und freilich, als Ernährer und Versorger der Welt hatten sie seit der Hochzeit zu Cana ihren armen Meister, der Wohlthat von nachfolgenden Frauen annahm, selten gesehen. So mußte denn der fromme HErr nicht bloß ohne Bitte der Bedürftigen, sondern auch ohne die Fürbitte seiner Freunde, völlig ungebeten die herrliche Lösung jener Frage aus großen Nöthen geben, und beweisen, daß Ihm der Prophet, welcher Ihn im Geiste gesehen, nicht umsonst den Namen Rath gegeben hat. So müßen wir erkennen, wie völlig man Ihm trauen darf, wie ruhig man, gleich Abraham, sich und der Seinen ferneren Gang in Seine Hände legen darf − auch unter Umständen, wo nichts zu hoffen ist! An den Jüngern aber sehen wir, welcher Freuden sich ein ahnungsloses, rathloses, Ihm nicht völlig vertrauendes Herz verlustig macht. Sie merken, ahnen, glauben nicht, daß der HErr etwas Großes vorhat, ihr Auge ist nicht geöffnet: so erfahren sie auch nicht, was da kommen will, sehen es nicht keimen, nicht sproßen, sondern dienen mehr blindlings einer That, deren Ausführung und Endschaft sie nicht sehen und nicht verstehen.


 Der HErr aber weiß, was Er vorhat. Mit sicherem, fröhlichem Geiste bereitet Er allem Volk Speise und Freude. Erst befiehlt Er, daß sich das Volk lagere und Seine heiligen Apostel müßen den Befehl ausrichten. In Schichten von fünfzig und fünfzig lagert sich alles, hundert Tischgesellschaften sondern und ordnen sich aus der Menge zusammen auf grünen Gras, lieblich anzusehen. Ueber ihnen allen steht der segnende König Christus, und die ersten Seines Reiches, die heiligen Apostel, warten Seines weiteren Befehles, zu dienen. − Die Leute hätten auch stehend, untereinander sprechend und sich unterhaltend Seine Speise empfangen können; aber siehe, Er will nicht so. Eine übersichtliche Tischordnung richtet Er an; entwirren, reinlich und lieblich zu Schichten versammeln sollen sich die Haufen; gesondert und geordnet sollen sie stehen, alle Augen auf Ihn warten, auf Seine reichen Hände schauen und merken oder ahnen, was Er vorhat. Die Ordnung soll zum Aufmerken dienen: vertheilen und empfangen soll dadurch nicht bloß leichter und lieblicher, sondern auch feierlicher und heiliger werden. Seht ihr hier wieder einmal, daß der HErr ein Freund der Ordnung und aller der Annehmlichkeiten ist, die aus der Ordnung hervorgehen? Sieh doch in dich, ehe wir weiter gehen! Der HErr liebt die Ordnung, bei Tisch, überall: und du? Liebst und hältst du nicht Ordnung? Ordnung erleichtert, Unordnung erschwert alle Dinge; jene ist süß, diese so verdrießlich: gehst du leicht einher in deinem Leben, weil du Ordnung hast, und heiter, weil du die heitere Ordnung liebst? Oder bist du schwerfällig, mürrisch und unleidlich, weil dich überall Unordnung wie ein Vorbild der Hölle umgibt und belastet. Sei versichert, im Himmel ist Ordnung und in der Hölle das Gegentheil, und kein Himmelskind, kein werdender Himmelsbürger ist, der sich nicht von äußerer, wie von innerer Unordnung zur schönen Zier der Ordnung bekehrt.


 Als nun alle gelagert waren, vor den Augen, vor den Ohren aller nimmt der HErr die Speise und dankt. Er ist selbst der Geber; der Vater hat Ihm gegeben, das Leben zu haben in Ihm selber und alle Genüge, Er gibt nun nach freiestem Entschluß: und doch dankt Er. Er dankt, weil Seine Gäste sehen sollen, von wannen Er Selbst Seine Macht ableitet, wo Sein Zusammenhang ist, nemlich im Himmel. Er dankt − und Seine Menschheit erscheint in der allerschönsten Abhängigkeit von Gott, sie ist die empfangende, die Gottheit

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/155&oldid=- (Version vom 28.8.2016)