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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ist gebend. Er dankt − warum nicht auch nach Seiner Gottheit, da Ihm, dem Sohn von gleichem Wesen, gleicher Majestät und Ehre, dennoch alles von dem Vater zufließt, und Sein Danken nichts ist als eine Hinweisung auf den Vater, aus deßen Wesen Er ewiglich stammt, der alles durch Ihn wirkt und nichts wirkt ohne Ihn? Ist dir aber das zu kühn, so bleibt doch immer wahr: der Gottmensch dankt, auf daß man erkennt, wie Er dem Vater die Ehre gibt und ohne Ihn Sich und Sein Thun nimmermehr gedacht haben will. − Brüder, erkennen wir des Dankens Absicht und Seligkeit am Beispiel unsers HErrn. Der Dankende erkennt und bekennt, daß er alles hat vom Vater durch den Sohn, daß er ganz und gar von Gott abhängt und in Ihm ruht, wurzelt und gründet; und das Bewußtsein dieser Abhängigkeit ist Seligkeit, so wie es in uns lebhaft und recht empfunden wird. In dieser seligen Abhängigkeit war der Mensch geschaffen, − und das ganze Paradies, das er besaß, sollte ihm zu einem immerwährenden Anlaß dienen, diese Abhängigkeit von Gott dankbar zu erkennen, zu bekennen. Dankbar von Gott abzuhangen war dem Menschen im Paradies gegeben, im Fall genommen, und es wieder herzustellen, war die Absicht JEsu bei Seinem großen Werk. Dank − seliges Abhangen von dem HErrn ist durch Christum wieder möglich, Seine Heiligen haben und vermögen es wieder. Durch den Menschensohn ist alles wieder geworden, wie es erst war; wer es nur ergreift! Durch den Sohn sind wir dem Vater wieder verbunden, sind wir wieder Sein, − und nun wachsen wir durch die Gnade des Heiligen Geistes von Tag zu Tage mehr in dieß selige Glück hinein. Wir wachsen hinein, spreche ich, wie wenn wir alle allezeit annähmen, was Er uns darreicht. Er helfe uns doch allen hier und völlig dort, daß wir, unserm Haupte gleich, danken können und selig sein im Dank!


 Am Danke JEsu sehen wir des Dankes Kraft und Macht. Der HErr dankt für das, was erst gegeben werden soll. Es ist Sein Dank eine Voraussicht und gewisse Weißagung zukünftiger Güter; was andern verborgen ist, ist Ihm offenbar; Glück und Güter, die erst in weiter Ferne stehen, sind für Ihn schon sicherer Besitz. Ja, weil der Dank des HErrn die Stelle des Bittens vertritt, das Bitten aber sich um zukünftige Dinge bemüht, so ist nicht zu leugnen, daß Er das Zukünftige nicht bloß mit gewissem Blick vorhersieht, sondern auch herbeizieht. Er versetzt nicht bloß in die Zukunft, sondern Er versetzt die Zukunft in die Gegenwart, schafft herbei, was ferne liegt, hat eine Macht, die Verheißung und Weißagung zu beschleunigen, und theilt die Güter Gottes aus, welche andere gar nicht als vorhanden schauen. Es ist eine wunderbare Sache mit dem Danke des HErrn: er hat alle Eigenschaften des Bittgebetes in verstärktem Maße und überdieß das, was ihm alleine eignet, was das Bittgebet nicht hat; als eine höhere Art des Gebetes trägt er alles Gute der niederern Gebetsart in sich. Man sollte, geliebte Brüder, vielleicht sagen: Gleichwie sich bei Christo das Bittgebet ins Dankgebet verklärt, so sollte sich bei einem jeden Christen je länger je mehr dieselbe Umwandlung erweisen und endlich stätig und ständig werden. Je zuversichtlicher das Bittgebet ist, desto näher verwandt ist es ja ohnehin dem Dank. Je gewisser ich weiß, daß ich erhöret bin, desto leichter ist der Uebergang des Amen ins dankende Halleluja. Je mehr ich das Zukünftige als gegenwärtig sehe, desto mehr verklärt sich mein betendes Verlangen zur dankenden Befriedigung. Wird mir gegeben, etwas als gewis kommend zu schauen, so verliert die Gegenwart, die ich noch habe, ihre Bedeutung, und ich lebe mehr in der Zukunft, die ich noch nicht habe. Je mehr ich glaubend und hoffend bin, je mehr ich in der Zukunft und ihren Gütern lebe, desto freudiger bin ich, desto jugendlicher werd ich, − für andere ein Prophet, bin ich in meinen Augen nichts weniger als das, ich lebe im Himmel, in der Erfüllung aller Weißagungen, und das Reich ist mir gekommen. − Und wie viele Sätze dieser Art ließen sich nicht sagen! Und wie würden sie alle gleich den gesagten uns das Glück empfehlen, statt beten danken zu können; wie würden sie uns alle zeigen, daß der Dank ein göttlich Leben ist! − Möchten nur fürs Erste alle Dinge, um die wir bitten, von der Art sein, daß wir sie als gewis und sicher kommend erbitten, daß wir, ihres Kommens gewis, für sie schon danken könnten! Möchten wir jede Bitte aus Herz und Mund verweisen, die wir in der Gestalt des Dankes nicht denken könnten, ohne den HErrn zu beleidigen!


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/156&oldid=- (Version vom 28.8.2016)