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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

sind? Das Bewußtsein seines Amtes und seiner Aufgabe muß ihn durchdringen. Mit einem Ansehen, wie es nur aus diesem Bewußtsein und der vollen richtigen Erkenntnis seiner Stellung kommt, muß er seinen Schafen gegenüber und unter ihnen stehen. Das bleibt im Allgemeinen, das bleibt auch bei JEsu wahr. Der thut den Schafen weder Ehre, noch Liebe, noch Barmherzigkeit, noch irgend etwas Gutes, der sie im Ungewissen läßt, ob er der sei, den sie bedürfen, oder nicht. Christus ist Hirte, ist Prophet, ist Gottes Sohn, d. i. Er ist grade das, was die Schafe haben müßen, wenn ihnen geholfen werden soll, und drum sagt Ers ihnen auch und naht Sich ihnen so, wie Er ist. Das ist wahrlich große Liebe, um so mehr, je weniger sich die Schafe selbst erkennen, je verlaßener und verlorener sie sind. Gerade dadurch, daß Christus den Juden ihre Irrthümer zeigt, Sich ihnen als Hirten und Führer erbietet, bereitet Er sie vor, den Dienst von Ihm anzunehmen, den Er ihnen vor allem erzeigen will. Denn Er will sie auf den Weg zum ewigen Leben führen.

 „So Jemand Mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich!“ Das heißt ganz einfach und klar den Weg zeigen, den alle Schafe gehen müßen, wenn sie ewiges Leben finden wollen. Sein Wort hören, halten im Glauben und Gehorsam, darauf kommt es an. Irrenden Schafen, die dem Verschmachten und dem Tode nahe sind, kann man nicht einfacher und nicht faßlicher und nicht befriedigender den Lebensweg zeigen, als wenn man es ganz übernimmt, sie zu leiten und zu führen bis zum sicheren Leben und zur vollen Genüge, − als wenn man weiter nichts von ihnen verlangt, als Acht auf Wort und Zuruf.

 Brüder, armer Schafe Haupttugend ist also „aufs Wort achten, das Wort halten.“ So ehrwürdig der HErr ist durch die Wahrhaftigkeit Seiner Worte, so nahe kommen wir Ihm, wenn wir, was Er sagt, als unverbrüchliche Wahrheit aufnehmen, halten und bewahren. Unsre ganze Wahrhaftigkeit steht und geht in der gläubigen Aufnahme und dem treuen Halten des Wortes JEsu. Unsre Wahrhaftigkeit beginnt zu sterben, und die Lüge beginnt über uns zu herrschen, so wie wir mit dem Herzen, den Gedanken, dem Urtheil von den Worten JEsu weichen. Sein ganzes Wesen ist Wahrheit, und das unsrige wird zu Seinem Bilde verklärt, wenn wir Seine Wahrheit faßen und behalten. Sein Wort ist Geist und ist Leben, und wir werden selbst Erben Seines Geistes und Lebens, wenn wir Sein Wort aufnehmen und behalten; wir werden des ewiglich leben, den Tod ewiglich nicht sehen.

 Brüder, kein größerer König der Schrecken als der Tod. Alles fürchtet sich vor ihm. Und doch, was ist der Tod, vor welchem sich die Leute fürchten? Er ist ein Augenblick, ein schnelles Ende des Zeitlichen, das voll Qual ist, − ein längst vorhergesehenes, alle Secunden durch andere Tode gepredigtes, schnell vorüberrauschendes Ereignis. Das ist der Tod nicht, der einem schwer werden sollte. Es haben ihn selbst viele Heiden, die doch keine Hoffnung hatten, leicht ertragen. Ein Wahn hat ihn oft zum fröhlichen Gang gemacht. Es gibt aber einen andern Tod, eine Seelenleere jenseits der Zeitlichkeit, eine ewige Reue über unwiderbringliche Vergeudung der Zeit, eine Qual des Geistes, der keine Hoffnung mehr hat, einen Unmuth der Gottverlaßenheit, ein Sterben ohne Aufhören, ein grausames, unbegriffenes, schauderhaftes Etwas ohne Namen (denn es sagt es kein Name aus, auch kaum der Name Tod!), einen ewigen Fluch des Allmächtigen, für welchen kein Versöhnblut mehr rinnt. Davor sollte man sich fürchten, davor beben, fliehen, eilen, um zu entrinnen, − ja, dagegen sollte man beten, alle Mittel sollte man dagegen ergreifen.

 Doch sieh, wie die Furcht, die auch mich ergriffen, mich vergeßen machte! Es ist ja das Mittel gefunden, den Tod nicht zu sehen und nicht zu erfahren. „Wer Mein Wort hält, der wird den Tod nicht sehen ewiglich,“ so spricht der Hirte. Sein Wort halten − im Glauben und Gehorsam, das heißt den Tod nicht sehen ewiglich. − O des guten Hirten, der auch den Feinden, die Ihn haßen, so die Straße zeigt, und ihre Bosheit so mit Güte und Treue vergilt! Daß wir doch Seine Hirtentreue recht erkenneten, damit hätten wir erkannt, was auch wir bedürfen. Ist Er ein geduldiger, hehrer, treuer Hirte Seiner Feinde gewesen, hat Er für sie alles gethan und mehr, als unser Evangelium erkennen läßt, ist Er für sie gestorben, auferstanden, betete Er auch jenseits der Sterne, im ewigen Heiligtum noch für sie: dann sind auch wir aus Seiner allwißenden, allmächtigen Liebe nicht verstoßen gewesen und sind es auch jetzt nicht, dann ist Er auch unser

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/164&oldid=- (Version vom 28.8.2016)