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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Haupt.“ So wie er begriffen hat, daß JEsus Seinen Jüngern nicht einen bloßen Sclavendienst, sondern einen Gottesdienst zu leisten vorhat, will Er nicht mehr der letzte, sondern der erste sein. Was spricht der HErr? „Wer gewaschen ist, der darf nicht, denn die Füße waschen, sondern er ist ganz rein, − und ihr seid rein, aber nicht alle.“ Wer gewaschen ist, den ganzen Leib gebadet hat, und nun nach dem Bade zu seinem Freunde geht, um mit ihm zu eßen, braucht vor dem Eintritt in den Speisesaal nicht wiederum den ganzen Leib zu waschen, denn der ist ja noch rein; aber die Füße bedürfen der Waschung, denn sie sind nach dem Bade über die staubigen Straßen gegangen. Soll das der ganze Sinn der Rede JEsu sein? Es leuchtet ein, daß es für eine so geringe Sache etwas viel Worte wären, − daß zu vielen Worten dieser Art die Zeit nicht stimmt, daß geringe Worte aufzubewahren, St. Johannes kein Interesse haben konnte. Aber wir haben noch anderen Beweis, daß der HErr mit diesen Worten auf eine geistliche Wahrheit deutet. „Ihr seid rein, sagt Er, aber nicht alle“ und St. Johannes setzt dazu: „Denn Er wußte Seinen Verräther wohl, darum sprach Er: Ihr seid nicht alle rein.“ Also war der Verräther nicht rein − und den Seelenzustand des Verräthers nennt der HErr Unreinigkeit. Vom Leib ist nicht die Rede, sondern von der Seele. Die Seelen der andern Jünger sind rein, weil sie keine Verräther sind, sondern JEsu treu und gläubig anhangen; Judä Seele ist unrein, weil sie von JEsu sich losgerißen und dem Satan übergeben hat. Ganz rein ist also JEsu treuer, gläubiger Jünger, − der ist im Bade der Erstlingsbuße und Bekehrung über und über gewaschen. Nun aber geschieht es der rein gewordenen Seele, wie dem Leibe. An des Leibes frischgewaschene Füße hängt sich Staub; so hängt sich an die rein gewordene Seele beim täglichen Wandel die tägliche Sünde, die Sünde der Schwachheit und unvollkommener Liebe. Und wie drum die Füße des Reinen dennoch immer wieder gebadet werden müßen, so bedarf die reine Jüngerseele eine Reinigung und Entledigung von täglicher Sünde. Und diese Reinigung von der täglichen, im armen Leben wegen unsrer Schwachheit unvermeidlichen Sünde ist es, welche JEsus beim Fußwaschen im Sinne hat, von welcher die Fußwaschung ein Abbild ist. Wenn Petrus sich die Füße nicht waschen läßt, hat er kein Theil an JEsu; denn wer die tägliche Sünde nicht loshaben will, wer − etwa gar, weil es der Würde des Erlösers zu nahe treten soll, täglich, „alle Tage reichlich“ Sünde zu vergeben − bei der falschen Lehre bleiben wollte, daß nach der allgemeinen Waschung im Bade der Taufe keine Vergebung der täglichen Sünde durch Christum verdient sei: der hat kein Theil an JEsu. Seiner Füße Schmutz würde am Ende die Reinigung des Leibes verhöhnen und vernichten. − Ferner wenn Petrus statt der Füße auch Haupt und Hände gewaschen haben will, vergißt er die Reinigung in der Taufe, vergißt er, daß er ja schon JEsu Eigentum und rein ist; er tritt seiner Taufe zu nah und verwechselt die tägliche Reinigung mit der anfänglichen, die Heiligung mit der Wiedergeburt − und das ist gefehlt. Denn nachdem der HErr Petrum schon erwählt hat, nachdem er schon erneut ist in der Taufe, bleibt ihm eins nöthig: die Versicherung, daß seine tägliche Schwachheitssünde ihn nicht von JEsu reißen soll. Diese ist es, welche der HErr den Seinigen zur Letzte gibt − und damit wird Sein Beispiel der Demuth erst recht vollkommen und Seine Jünger werden eben damit erst recht zur Nachfolge Seiner Demuth vermocht. Oder ist der HErr nicht demüthiger, wenn Er die täglichen Sünden Seiner Schüler trägt und abwascht, als wenn Er einmal ihre staubigen Füße wascht? Ist das nicht ein demüthiger Gott und Heiland, der, voraussehend, daß wir täglich sündigen, auch mitten im Scheine Seiner sonnenhellen Gnade, eine tägliche Arzenei bereitet und sie mit beständiger Geduld uns reicht bis ans Ende? Und muß nicht uns grade das am allermeisten zur Nachfolge reizen? Was drückt am allerschwersten, wenn wir Sein sind? Die tägliche Unvollkommenheit. Und nach der eigenen, was dann? Die tägliche Unvollkommenheit der Brüder. Nun haben wir Vergebung für unsre tägliche Sünde von dem demüthigen Heilande − und das sollt uns nicht reizen, des HErrn Gebot von der Demuth zu erfüllen und unsern Brüdern dennoch zu dienen, obschon uns ihre tägliche Sünde belästigt? Wir werden so geduldig getragen, so demüthig mit Vergebung bedient: und wir sollten nicht geduldig und demüthig tragen − nicht auch gerne bis ans Ende jedes Bruders Füße waschen? − Was antworten meine Brüder? Was können sie antworten, als ein tiefbeschämtes: Ja!?


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/174&oldid=- (Version vom 14.8.2016)