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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Wie bin ich doch so herzlich froh,
Daß mein Schatz ist das A und O,
Der Anfang und das Ende!
Er wird mich doch zu Seinem Preis
Aufnehmen in das Paradeis,
Des klopf ich in die Hände.
Amen! Amen!
Komm du schöne
Freudenkrone,
Bleib nicht lange!
Deiner wart ich mit Verlangen!

Amen.




II.
(1857.)

 AM Eingang der großen Woche liest man in der Kirche Gottes von Alters her die Geschichte der Fußwaschung JEsu, nicht weil sie sich am Sonntag dieser Woche zugetragen, sondern weil sie so wohl an diese Stelle sich schickt und JEsus vor den Füßen Seiner Jünger, beflißen, ihre Füße zu waschen, wie ein bedeutungsvoller Ausleger alles deßen erscheint, was Er in dieser großen Woche gelitten und gethan hat. Laßt uns, meine theuren Brüder, nach der Leitung der Kirche miteinander die Geschichte in Erwägung ziehen, die wir vernommen haben. Verleihe uns der HErr von Seinem Himmel zur Betrachtung einen stillen Geist, und daß wir, was St. Johannes schreibet, zu desto größerer Erbauung in der Ordnung faßen mögen, in welcher er selber geschrieben hat. Diese Ordnung aber ist leicht erkennbar. Ihr zu Folge erwägen wir zuerst die Zeit, in welcher die Geschichte geschehen ist, darauf die Gemüthsverfaßung JEsu, in welcher Er gehandelt hat, sodann die heilige Handlung selber, von welcher die Geschichte redet, weiter den inneren Sinn der Handlung und endlich ihre Absicht. Das ist die Ordnung unseres Textes, das sei die Ordnung unserer Rede und Betrachtung, welche Gott uns segne.

 Von der Zeit der Handlung sagt der heilige Johannes, sie sei eingetreten vor dem letzten Osterfeste Christi, da bereits die Stunde gekommen war, den Weg aus der Welt zu Seinem Vater anzutreten, während einer Mahlzeit, da der Teufel bereits dem Juda Simonis Ischariot den verfluchten Gedanken ins Herz geschleudert hatte, daß er den HErrn verrathen sollte. Damit ist allerdings der Tag nicht genau bezeichnet, an welchem die herrlich schöne That geschehen ist, sie könnte den Umständen zufolge ebensowohl am Mittwoch als am Donnerstag der Leidenswoche geschehen sein. An beiden Tagen saß der HErr nach Erzählung der heiligen Evangelien mit Seinen Jüngern zu Tische; am Mittwoch wie am Donnerstag wußte Er, daß Seine Zeit des Heimgangs vorhanden war; auch weiß Jedermann, daß Judas Ischariot bereits am Mittwoch den höllischen Gedanken des Verraths gefaßt hat und mit den Priestern um 30 Silberlinge eins geworden ist. Ja wenn man die Worte „vor dem Fest der Ostern“ besonders betonen wollte, so könnte man versucht sein, mehr auf den Mittwoch als auf den Donnerstag zu schließen, weil das Mahl am Donnerstage nicht vor dem Fest der Juden, sondern am Beginn des Festes selber steht, zum Fest gehört, ja des Festes Gipfel ist. Indes mag dem sein wie es will, in beiden Fällen war so ernste Zeit, daß seit jener ersten Versuchungsstunde im Paradiese ihresgleichen nicht gewesen war. Die alte Schlange hatte sich zum Kampf gerüstet, des Menschen Sohn aber wußte auch, was es galt, kannte Seine nahende Stunde, wußte auch, daß die Stunde Seiner Feinde und die Macht der Finsternis gekommen war: wie war Seine Seele bewegt ob solcher Stunde! Kann man sagen, daß Ihn Freudigkeit und Siegeslust durchdrang? Ihn, der nun bald von einer Traurigkeit Seiner Seele, und von einer Bangigkeit bis zum Tode redete? Ha was für eine ernste, schwere Zeit für Ihn hereingebrochen war, eine Zeit, da man sich nur wundern muß, Ihn so klaren Urtheils zu finden über Seinen Weg; denn Er weiß mitten in tiefer Betrübnis, daß Er aus der Welt zum Vater gehe, daß Sein Gang ist Sieg und deßen Ende Triumph und Herrlichkeit. In dieser schweren, betrübten Zeit hat der HErr gethan, wovon der Text erzählt, sicher eine ernste, bedeutungsschwere Handlung. Der nie Geringes that, hat am wenigsten in der größten Zeit Seines Lebens etwas

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/176&oldid=- (Version vom 14.8.2016)