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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Geringes gethan: zu jener Stunde schickt sich nur Großes, Wichtiges, Bedeutungsvolles. Darum wohlan meine Brüder, die Herzen in die Höhe, daß ihr des HErrn Thun recht faßet und erwäget.

 Doch leg ich nicht sofort die heilige Handlung JEsu Christi vor eure Augen, ihr sollt für dieselbe durch noch eine Betrachtung vorbereitet werden, nemlich durch Betrachtung des Gemüthszustandes JEsu. Wenn die Betrachtung der Zeit achtsam machen kann, so kann viel mehr die Erwägung der Gedanken, die JEsum bei der folgenden Handlung durchdrangen, alle Zerstreuung verjagen und das Herz zur Andacht wenden.

 Der heilige Apostel Johannes beginnt mit dem 13. Kapitel seines Evangeliums einen neuen Abschnitt desselbigen und das so kenntlich, daß er für denselben sogar eine besondere Einleitung schreibt. Diese Einleitung ist feierlich und hoch getragen, wie sich ein Jeder überzeugen kann, der sie liest; in derselben finden wir die bereits abgehandelte Zeitbestimmung der heiligen Handlung, neben derselben aber auch die beiden Züge von dem inneren Zustand unseres HErrn, die wir nun zusammenhalten und in deren vereintem Lichte wir die heilige Handlung betrachten wollen, die unser Text erzählt. Der erste ist ein Zug jener unaussprechlichen Liebe, welche uns im Verhalten des HErrn gegen die Seinen allenthalben ins Auge leuchtet. „Wie Er hatte geliebt die Seinen, die in der Welt waren, so liebte Er sie bis ans Ende.“ Der zweite Zug aber ist ein Zug großer Majestät. „JEsus wußte, daß der Vater alles in Seine Hände gegeben hatte, und daß Er von Gott ausgegangen war, und zu Gott gieng.“ Also Liebe gegen die Seinen, die in der Welt waren, treue, unwandelbare, durch nichts unterbrochene Liebe, und dabei das Bewußtsein göttlicher Allgewalt, mit welcher Er auf dem Heimweg zu Seinem Vater begleitet war, erfüllten die Seele unseres HErrn: Liebe und Macht herrschten in Ihm. Diese Liebe erscheint uns um so größer und wunderbarer, wenn wir die Umstände erwägen, unter welchen sie sich erweist. Die Stunde war gekommen, daß der HErr aus der Welt zu Seinem Vater gienge; da konnte Er vor Freud und Andacht zu Seinem Vater, vor Sehnsucht und Verlangen nach Seiner ewigen Herrlichkeit die Seinen, die in der Welt waren, vergeßen: was sind die Seinen gegen den Vater im Himmel, gegen den Himmel und die Glorie der Engel? Dennoch aber vergißt Er die Seinigen nicht, die in der Welt waren, sondern liebte sie bis ans Ende, ja bis in die Ewigkeit hinein, und diese Liebe gibt Ihm die Handlung ein, die unser Text erzählt. Ferner: schon hatte der Teufel dem Judas ins Herz gegeben, seinen HErrn zu verrathen, das Herz Juda hatte den Gedanken aufgenommen, der Teufel hatte den großen Bundesgenoßen gefunden, den er bedurfte, nun rüstete sich der alte Drache zum großen Entscheidungskampfe. Ha welch ein Kampf, wer kann es sagen, was für Macht und List, welche Höllenkräfte nun daher traten gegen den einzigen Menschensohn! Da war es Diesem wohl nöthig zu wißen, daß der Vater Alles in Seine Hände gegeben hatte, und daß Er zum seligsten Ziele vorwärts drang; nun mußte Er sich ohne Zweifel Seiner Kraft bewußt werden, und des Ortes zu dem Er sich durchschlug. Aber was Wunder, wenn Er jetzt nur des Feindes, nur des heißen Kampfes, nur des Sieges, nur Seiner eigenen Erhöhung und Herrlichkeit gedacht, und Seine arme sterbliche Braut in dieser Welt vergeßen hätte. Es ist ja die Schlange, die alte, die Ihm den Zahn weist und die Zunge, und in verzweifelter Tollkühnheit ihr Haupt wider Ihn erhebt, ihre feurigen Blicke nach Ihm zielet. Nicht irgend ein geringer Teufelsengel, Lucifer ist vorhanden! Aber sieh da, wie groß ist die Majestät und Kraft des HErrn! Wie Ihm die Liebe zum Vater und Seiner seligen Heimath die Seinen nicht in den Hintergrund stellt, so vermag auch die Hölle und ihre Wuth die Seele Christi denen nicht zu entwenden, die Er auf Erden die Seinen nennt. Nicht Himmel nicht Hölle, nicht Gott nicht Teufel, nicht Macht, nicht Ohnmacht und Leiden, nicht Hohes noch Tiefes kann das Herz des Erlösers von den Seinigen scheiden. Nur für sie fühlt Er Seine Majestät und Gewalt, ihnen zu Nutz und Dienst wird Er sie erweisen, die Liebe zu ihnen wird Seine allmächtige Hand regieren und ihnen zeigen jetzt und in den Stunden, die da kommen sollen, was alles Er den Seinen thun muß.

 Und was wird Er denn nun zunächst thun, was wird Er thun, den Himmel und Hölle von den Seinen nicht scheidet und dem der Vater Alles in Seine Hand gegeben hat? Wird Er wie ein anderer Simson die Säulen faßen an der Höllen Pforten und den Bau über allen Teufeln und Verfluchten auf ewig zusammenwerfen, damit die Seinen ewig Ruhe haben, oder

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/177&oldid=- (Version vom 28.8.2016)