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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

der HErr nun den Jüngern die Füße wusch. Das sah er ja, das brauchte er nicht erst hernach zu erfahren. Der HErr mußte also von einem verborgeneren, tieferen Sinn der Fußwaschung sprechen. „Werde Ich dich nicht waschen, so hast du kein Theil mit Mir,“ spricht der HErr im weiteren Verlaufe des Zwiegesprächs, und damit beginnt Er die Enthüllung des tieferen Sinnes Seiner Worte. Petrus, die Seinen alle sollen mit dem HErrn Theil haben − woran denn? Doch offenbar an Seinem ewigen Loose und an Seiner himmlischen Herrlichkeit. An diesem Loose, an dieser Herrlichkeit aber bekommt man keinen Antheil, wenn der ewige König die Waschung an einem nicht vornimmt, es kommt auf die Waschung JEsu an. Kannst du dir nun aber denken, daß es auf die Waschung mit Waßer ankommt, so müßtest du auch, so gewis als JEsus Christus Theilnehmer, viele Theilnehmer an Seinem ewigen Loose haben will, fordern, daß Er entweder selbst, oder durch Stellvertreter alle die Seinen wasche, du könntest auf dem Wege dieser Gedanken zur Taufe kommen und könntest, wie wenn du den inneren Sinn der Handlung JEsu gefunden hättest, freudig ausrufen: „Es hat keinen Theil mit JEsu, wer nicht getauft wird.“ Allein, wenn man auch mit den Worten JEsu: „Werde ich dich nicht waschen, so hast du kein Theil an Mir,“ den Sinn verbinden könnte, weil der HErr hier im Allgemeinen nur vom Waschen und nicht vom Fußwaschen spricht, so erlaubt doch der Fortgang der Handlung nicht, ja er verbietet, an die Taufe zu denken. Die Taufe wäscht Füße und Haupt und Hände, sie wäscht den ganzen Menschen, sie reinigt ihn von allem Schmutz der Sünde und stellt ihn rein und gerechtfertigt vor das Angesicht des HErrn. Der HErr aber will ausdrücklich diese allgemeine Waschung in der Taufe vom Fußwaschen unterschieden haben. „Wer gewaschen ist, hat kein Bedürfnis weiter als die Füße zu waschen, sondern er ist im Ganzen rein, und ihr seid rein, jedoch nicht alle.“ Damit sagt ja der HErr nichts anderes als, die Jünger stünden in der Taufgnade, und seien dadurch rein, der einige Ischariot habe sich durch Hingebung an den Satan über und über wieder beschmutzt und die Gnade seiner Taufe verloren. Doch aber bedürften auch die Getauften einer theilweisen Reinigung. Gleichwie ein Mensch, der ganz gewaschen ist, doch seine Füße vor Staub und Schmutz nicht behüten kann, und deßhalb diese öfter waschen muß als den ganzen Leib, so wird auch ein Getaufter durch den täglichen Wandel theilweise immer aufs Neue beschmutzt und bedarf einer oftmaligen, einer täglichen Reinigung von den oftmaligen Sünden des täglichen Lebens. So deutet denn der HErr mit der allgemeinen Waschung auf die Taufe und mit der besonderen auf die tägliche Vergebung, die wir brauchen, und auf die Absolution, und der innere Sinn der Handlung ist daher kein anderer, als der, daß Christus, der uns mit Seinem Sacrament der Taufe am ganzen Leibe wäscht, Sich auch nicht schämt, uns täglich wieder zu dienen durch Vergebung unserer Sünden. Ja wie Er vor den Jüngern niederkniet und ihnen dient zum leiblich geringen Werke, so bietet Er uns auch demuthsvoll und bittend, als wäre Er nicht der allmächtige HErr, sondern ein geringer Diener, die tägliche Reinigung an, und will Sich ebensowenig abweisen laßen mit Seiner großen Gabe der täglichen Vergebung, als Er Sich bewegen läßt, die Taufe zu wiederholen. Er will keine Ischariots, welche die gesammte Gnade der Taufe unnütz machen und sich dem Satan ergeben, aber Er weiß auch, daß Er keine andern Heiligen und Täuflinge in der Welt hat, als solche, die in Schwachheit täglich sündigen und bei redlichem Willen im Ganzen dennoch die ewige Ruhe nicht erreichen würden, wenn Er nicht durch die Absolution täglich fortsetzte, was Er im Allgemeinen mit der Taufe begonnen hat. Sieh da, den inneren Sinn der Handlung und welche Gedanken den HErrn bewegten, wie Er all unsere Bedürfnisse im Auge hatte, und all unser Heil und Wohl bis ans Ende bedachte, äußerlich ein demüthiger Diener der Seinen wurde und ihnen innerlich den größten wohlthätigsten Dienst alltäglich leistet.

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 Nun aber, lieben Brüder, laßt uns unsere Gedanken auf die nächste, die eigentliche Absicht Christi bei der Fußwaschung richten. Groß, hehr und feierlich erscheint einem jeden der innere Sinn der heiligen Handlung; dagegen aber erscheint überaus einfach die eigentliche Absicht JEsu. Weit wichtiger und nöthiger ist ja allerdings für uns Alle der Dienst, den uns Christus leistet, und sehr unbedeutend ist gegen Seinen Dienst derjenige, den wir den Brüdern zu leisten vermögen: was ist all unser Thun

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/180&oldid=- (Version vom 28.8.2016)