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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

unser Text nicht erzählt, welches aber doch unter dem lauten Geschrei zu verstehen ist, das er V. 37. erwähnt und unter welchem der HErr verschieden ist. − Das Wort: „Vater, Ich befehle Meinen Geist in Deine Hände!“ Der HErr hatte Macht, Sein Leben zu laßen und wieder zu nehmen. Als Er alles vollbracht hatte und nichts mehr zu überwinden hatte, als den Tod des Leibes, da erkannte Er Seine Stunde, gebrauchte Seine Macht, das Leben zu laßen, neigte Sein Haupt und machte also dem ganzen drei- und dreißigjährigen Kampf, in den Er freiwillig gegangen war, auch frei und hehr ein Ende. Nach der Macht, die Er hatte, nahm Er Seine Seele und befahl sie in des Vaters Hände. Meint ihr, der HErr habe nicht freiwillig die Minute des Todes Sich ausersehen? Meint ihr etwa, Er habe, von des Leibes Noth bezwungen, eine nahende, besonders schmerzensreiche Minute für den Punkt Seines Abschieds gehalten und so gerufen: „Vater, Ich befehle Meinen Geist in Deine Hände?“ Das glaube, wer will. Der HErr war ein HErr Seines Todes; Er starb nach eigener, heiliger Wahl, − Sein letzter Augenblick auf Erden ist Seine freieste, großmüthigste That gewesen: Er starb grade da, weil Er grade da sterben wollte, − und Seinen Willen, wie Sein Vollbringen deuten Seine lauten, sieghaften Worte an: „Vater, Ich befehle Meinen Geist in Deine Hände!“ In diesen Worten liegt die höchste Bürgschaft Seines Todes. Er ist gestorben, denn Er hat Seine Seele in des Vaters Hände befohlen.


 Er ist wahrhaftig gestorben und die Art, wie Er starb, bürgt uns, wie dem treuen Hauptmann, für Seine göttliche Abstammung. Das war ein göttlich Sterben! Nun aber ist alles Leid geendet. Wir können uns nicht so der Wißenschaft Seiner Auferstehung entschlagen, daß wir die volle Trauer des Todes fühlten. Wir können das Angesicht im Abendlichte des Charfreitags nicht schauen, ohne es für einen Vorboten des Morgenlichtes zu erkennen, das am Ostermorgen erschien. Darum ist uns auch die Geschichte der Begräbnis so lieblich, sie erscheint uns wie ein Verbindungsglied zwischen dem Sieg am Kreuz und dem Triumph am Ostertage. − Es ist überhaupt etwas Wunderliches, aber auch etwas Menschliches, das wir überall finden, daß die letzte, wenn schon wehmüthige Freude, die wir am irdischen Dasein unserer Dahingeschiedenen haben, das Begräbnis ist. So lange man sich noch mit dem Leichnam liebevoll beschäftigen und ihm ein weniges erzeigen kann, scheint es, als hätte man dem Todten selbst noch eine für ihn merkliche Liebe erwiesen, und das gewährt etwas von Genüge. Erst wenn das Begräbnis vorüber und auch der Leichnam für immer weggenommen ist, ergreift uns die ganze Macht der jammervollen Entbehrung. Begraben ist die letzte, süße Beschäftigung mit unsern Todten. Das gilt im Allgemeinen, bei Christo aber hat es noch ganz andere Gründe, warum wir so gern Joseph von Arimathia und Nikodemo zusehen, wie sie den heiligsten Leichnam zur stillen Kammer bringen. Bis zu dem letzten Hauche des HErrn ist die Betrachtung thränenreich und jammervoll; die Worte lösen sich nicht vom Herzen; stumm und trüb schauen wir ins Angesicht des Sterbenden: wir leiden mit. Dann aber wendet sichs. Es ist nun ausgelitten, und wenn nun der Leichnam zu Grabe geht, da ist es, als wäre das nach dem Vorausgehenden kaum mehr eine Stufe der Erniedrigung. Es kommt ein stilles, freudiges Wesen ins Gemüth hinein. Man geht so zufrieden mit Joseph zu Pilato, man bittet mit um den Leichnam, man empfängt dankbar die Erlaubnis, nun geht man mit Joseph und Nikodemus, um Salben und Leinwand zu holen, man streut Spezereien, man hilft salben und in die reinen Grabetücher hüllen und in das weiße, glänzende Todtengemach des Grabes legen. Man weiß, es ist das alles nur für kurze Zeit; bereits herrscht die Hoffnung der Auferstehung; fast weihnachtsmäßig wird einem, man geht mit Joseph von Arimathia in die kleine Höhle des Begräbnisses, als gält es nun, dem HErrn in Seiner Geburtsnacht Wohlgeruch und Lager zu bereiten. Ganz kindlich ahnungsvoll wird die Seele, und die Erwartung beim Anbruch des Charfreitagabends, des großen Sabbaths, wäre wie die beim Anbruch der geweihten Nacht der Geburt, wenn sie nicht viel heiliger und hehrer wäre, viel männlicher und himmlischer, als die am Freudenabend des Weihnachtsfestes. − Heute ist unser HErr begraben. Heute ist Er uns im Begräbnis gleich geworden. Heute hat Er in der Erde geruht, wie wir auch in ihr ruhen werden. Heute ist das Samenkorn in die Erde gelegt worden, das eine reiche, schwere Gottesähre, eine ganze selige Menschheit trägt. Man möchte sich mit Ihm ins Grab legen, um mit Ihm aufzustehen aus der Erde. Man findet es so süß, mit

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/187&oldid=- (Version vom 28.8.2016)