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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und tröstende Gewisheit göttlicher Gnade bringt der Engel sichtbares Antlitz und hörbares Wort. Schon zu den Hirten bei Bethlehem sprach der Engel: „Fürchtet euch nicht,“ und zu den Frauen im Grabe kommt ein ähnliches Wort: „Entsetzet euch nicht.“ Dieß Wort nimmt allerdings das Entsetzen nicht alsbald hinweg, aber verboten und gemisbilligt ist es dadurch. Wir aber freuen uns, daß es so weit gekommen ist, daß wir selbst das Grauen und den Schauer der menschlichen Natur vor den hehren Freunden der Erlösten, vor den Engeln, schelten dürfen. − Mit Beruhigung beginnt die englische Predigt, und süßes Bußepredigen ist die Fortsetzung. Eine Bußpredigt darf man doch wohl die Worte nennen: „Ihr suchet JEsum von Nazareth, den Gekreuzigten?“ Sie misbilligen doch den Sinn und das Thun der Weiber, beides ist als befremdend dargestellt, und Annahme anderer Gedanken, Umänderung des Sinnes wird gefordert. Ich meine aber, die Engelworte seien ein süßes Bußpredigen zu nennen, weil doch den Frauen nichts lieber und angenehmer sein konnte, als ihren Sinn in diesem Stücke ändern, andere Gedanken annehmen zu dürfen. Was sie ablegen müßen, war ein unseliger, lastender Irrtum, − und wie mit tausend Freuden hätten sie Buße thun sollen, da auf die Bußpredigt ein so herrliches Evangelium folgte, das alle Noth der drei letzten, schwersten Lebenstage in vollkommene Freude verkehren konnte. Oder ist es nicht ein Evangelium, was der Engel sagte: „Er ist auferstanden, Er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, da sie Ihn hinlegten?“ Er ist nicht im Grabe, nicht im Tode; an des Lebens Orte, selbst im Leben und in Herrlichkeit ist Er!? Alles Evangelium hätte keinen Grund, der Glaube wäre eitel, noch in den Sünden wären wir, wenn Christus nicht auferstanden wäre. An der Auferstehung lag alles, sie vollendet das ganze Werk und drückt ihm das Sigel auf; sie gibt Gewähr, göttliche Gewähr für alle Worte, für alle Werke Christi, für all Sein Amt und Leiden von der Geburt an bis zum Tode. Es muß dem Vater der HErr und alles was Er geredet, was Er gethan und gelitten hat, wohlgefallen, weil Er Ihn auferweckt hat. Nachdem Sein Versprechen, am dritten Tage aufzustehen und siegreich hervorzugehen, wahr geworden ist, ist alles andre auch wahr, recht und vollkommen. Durch die Auferstehung ist der HErr kräftiglich erweiset als Gottes Sohn, und nun muß Ihm zufallen die Menge Israels und der Heiden. Darum ist auch die Auferstehung Christi der Brennpunkt aller Predigten der heiligen Apostel, welche wir in der Apostelgeschichte lesen. Darum nennt der heilige Petrus sich und seine Mitapostel (Apostelg. 1, 22.) Zeugen der Auferstehung Christi. Die Weiber erkannten nicht gleich, was in den Engelworten lag; aber die Jahrhunderte haben es ausgelegt und erfahren, wie ganz und gar von der Auferstehung Christi alles Evangelium abhängt. − Und wie die Predigt immer nicht bloß Buße, nicht bloß Evangelium ist, sondern den Menschen zum Gehorsam und zu guten Werken treibt; so hat auch diese Engelpredigt ihren Befehl und also auch ihr gutes Werk, das sie lobt und preist. „Gehet hin, heißt es, sagt es Seinen Jüngern und Petro, daß Er vor euch hingehen wird in Galiläa; da werdet ihr Ihn sehen, wie Er euch gesagt hat.“ Der Engel kennt die Menschenkinder, daß sie seinen Worten nicht glauben würden, so viele ihrer nicht selbst seine Worte hörten; darum bringt er nur JEsu Worte, nur JEsu eigenen, ihm wohlbekannten Befehl wieder in Erinnerung, verheißt ihnen das Schauen JEsu mit eigenen Augen und befiehlt ihnen nur, was JEsus selbst befohlen, in Sein Heimatland, nach Galiläa, wo Er auch nach Seiner Auferstehung, wie es am Tage ist, so gern war, hinzugehen und dort der seligen Verheißung zu warten. Diese ganze Erinnerung an JEsu Verheißung und Befehl sollen die Frauen den Jüngern bringen und Petro, − den Jüngern und Petro, der in der Rede des Engels von den übrigen Jüngern getrennt erscheint, ob weil er gefallen war, ob weil er an der Spitze der andern stand, ob weil er zugleich gedemüthigt und erhoben werden sollte, das weiß ich nicht. Die Frauen haben eine gute Botschaft, einen lieben Befehl zu hinterbringen. Eine süßere Bußpredigt, als die der Engel an Ostern gibt es nicht. Ein süßeres Evangelium, als das der Engel gibt es nicht. So gibt es auch keinen süßeren Befehl, als den der Engel. Denn was soll und kann süßer sein, als die Freunde ermuntern, nach Galiläa zu gehen, den HErrn zu schauen und mit ihnen gehen? Da hat man gut Werke predigen, wenn, wie bei den Jüngern und im Grunde doch bei allen österlichen Christen, das ganze Werk, das einem befohlen wird, nichts ist, als Erfüllung unsrer Sehnsucht

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/192&oldid=- (Version vom 28.8.2016)