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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und unsrer liebsten Wünsche. − Wenn nur auch wir der Engel Osterpredigt recht zu Herzen faßten! Beruht doch auch unser größtes Unglück im Grunde nur darin, daß wir Christum nicht als einen, der von den Todten erstanden ist und ewig lebt, erkennen. Der lastende, ungläubige Irrtum, daß der HErr nicht lebe, ist ein Brunnquell aller Traurigkeit und unsers ganzen todten und elenden Seelenzustandes. Dagegen liegt unsere ganze Ruhe, unser gesammtes Glück darin, daß wir lebendig faßen: „Der HErr ist auferstanden.“ Und unsere ganze Heiligung ist eine Losreißung von dem Ort der Trauer und der Leiden, ein Hinaufgehen in unser Galiläa, um JEsum und Seine Herrlichkeit zu schauen. Denn auch wir sollen Ihn schauen und Zeugen Seiner Auferstehung werden ewiglich. Dazu sind wir berufen und mit uns alle Christen, und um Erfüllung dieses Berufes betrüge uns nur nichts. Der HErr verleihe, daß wir die Verheißung, zum Orte des Anschauens und seliger Ruhe einzukommen, nicht versäumen.


 Wie schön, meine Freunde, ist in unserm Evangelium bisher alles. Aber das Ende des Evangeliums, ist es von gleicher Art? Bisher haben wir nichts gesehen und gehört, als den Glanz der ewigen, himmlischen Welt, Engel, Engelpredigt, Gnade, menschenfreundliches Erbarmen des allerhöchsten Gottes. Wie steht es mit dem Eindruck der ersten Osterpredigt auf die Herzen der Frauen? Ist er des Wortes würdig, das vernommen ist, und der Liebe würdig, die geredet hat? Gehen die Frauen ohne Entsetzen, voll Glaubensfreude und Wonne von hinnen? Eilen sie, neuer Lust und neuen Lebens voll, der Engel Botschaft den Jüngern und Petro auszurichten? − Leider wird uns nur von Zittern und Entsetzen und von einer Furcht erzählt, welche sie untauglich machte, der Engel Befehl zu vollziehen; denn sie sagten vor Furcht und Schrecken niemand etwas. Man erkennt hier, daß der Engel freudenreiche Botschaft den Weibern annoch ein Geheimnis, daß sie über deren Faßungskraft erhaben war, daß die schüchternen Frauen erst dazu herangezogen werden und nach und nach heranreifen mußten, zu verstehen, was ihnen gesagt war. − So ist der Mensch. Er versteht das himmlische Wort nicht, auch wenn er es vernommen und in gewißem Sinne verstanden hat. Er muß erst hinein wachsen, und es muß in ihm wachsen, wie ein Samenkorn. So muß namentlich die österliche Botschaft von der Auferstehung Christi im Herzen erst eine Freudensaat werden, ehe sie eine Freudenärnte bringt. Geht es uns denn anders? Wir vernahmen die Botschaft von Christi Auferstehung; sie ist gewis für uns um keinen Gran weniger wichtig und selig, als für die ersten Gläubigen und Zeugen; sie ist die Bürgschaft des größten Glückes für alle Menschen. Aber − wir faßen sie so bald nicht. Wir ahnen es wohl, daß es um sie etwas Heiliges, Bedeutungs- und Segensvolles sein muß; aber es muß doch das Beste erst kommen: das Freudenwort muß erst erlebt, im Leben erfaßt, vom heil. Geiste eingeprägt und ausgelegt werden. Dann erst gibt es österliche Herzen, dann erst wird es österlich im Gewißen, im Leben, im Sterben, in der eigenen Auferstehung. Das österliche Freudenwort ist ein Thema fürs ganze Leben in gesunden und kranken Tagen. Es mangelt dem Lebenden die rechte Weihe des Leibes, der Seele, des Lebens, − dem Sterbenden der volle Todestrost, wenn dieß Wort nicht erkannt ist, wenn man nicht in der sicheren Gewisheit unzerstörbaren Leibes-, und Seelenlebens leben und sterben kann. Ist das Osterwort verstanden und in uns Leben geworden, dann erst ist voller Todesmuth, volle Todeslust und voller Friede in uns und dann gehen wir auch von jedem Sterbebette eines Christen weg, wie die Jünger nach Christi Himmelfahrt vom Oelberg, zwar sehnsüchtig nach der ewigen Heimat, zu der uns wieder einer vorangieng, aber auch voll Freuden, daß kein Tod mehr ist, sondern Leben und Freude, daß wir auch nachfolgen, wenn wir willig und gern entsagend ausgeharrt nach Gottes Willen, daß alles Menschenleben und jeglichen Leibes Keim für ewig geborgen und gewonnen ist. − So sind wir denn Schüler in der Predigt der Engel und des heiligen Geistes, und unser sehnliches Flehen muß sein, daß wir nicht eher sterben, als bis wir das österliche Evangelium von der Auferstehung Christi recht erfaßt haben und dadurch zu einem neuen Leben auferstanden sind. Wir können vieles im Leben und im Sterben entbehren; aber dieß Wort: „Der HErr ist auferstanden“ − das brauchen wir, das können wir nicht entbehren, das werde uns nur nicht alt und todt. −


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/193&oldid=- (Version vom 28.8.2016)