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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

sondern von Schritt zu Schritt vorbereitet wird der volle Mittag der himmlischen Offenbarung. Dort geschieht die Vorbereitung durch Engel, hier durch den auferstandenen HErrn Selbst in verhüllter Gestalt. Es ließe sich viel darüber sagen, wie der HErr die eine Botschaft Männern und Frauen in so lieblich verschiedener Weise in die Seele gelegt hat; jedoch wollen wir uns enthalten und bei dem eigentlichen Inhalt des heutigen Evangeliums verbleiben. Zuerst wollen wir im allgemeinen vom Glück und Unglück der Christen reden und dann ins Einzelne gehen und einige besondere Stücke zeigen, welche der HErr in diesem Texte offenbart. Es helfe uns dazu Er Selbst, der Auferstandene, der seit dem Tage Seiner Auferstehung und Auffahrt mitten unter den Seinigen, mitten unter den Gemeinden hilfreich wandelt und Licht und Feuer in ihre Herzen gibt.


 Der Christen Glück ist, daß ich es kurz sage, JEsum Christum klar zu erkennen; ihr Unglück ist es, wenn sie irgend an Ihm irre werden und ihr Auge getrübt wird für Seinen schönen Glanz. Daß ich mit diesem Satze nicht von der Wahrheit abirre, beweist die Textgeschichte. So lange der HErr bei den Seinigen war, mit ihnen wandelte, und sie Seine Wunder sahen, Seine Lehre und Liebe erkannten, waren sie glücklich. Es fehlte ihnen nichts für Leib und Seele. Aber als Er ihnen nun in der Gründonnerstagsnacht entrißen wurde und ihr Glaube nicht vermochte, sich an Seinen Voraussagungen fest zu halten, als die mit Seinem Leiden und Sterben eintretende und beginnende Erfüllung Seiner Voraussagungen, weit entfernt, daß sie ihnen als Erfüllung erschienen wäre, ihr Herz und ihre Hoffnung gestärkt hätte, sie vielmehr an allem irre machte, an dem Lebensberufe Christi und an ihrem eigenen: da war kein Glück mehr bei ihnen zu finden. Zwar bleibt Ihm ihr Herz auch dann noch zugethan, das erkennen wir ja aus den Aeußerungen der Jünger V. 19. Sie erkennen Ihn auch dann als einen Propheten mächtig von That und Worten vor Gott und allem Volk. Es war ihnen also doch immerhin noch manches von ihrem Glauben und Leben mit Christo übrig geblieben. Allein die Hoffnung, daß Er Israel erlösen würde, war doch dahin, und damit das Herrlichste und Größte, was sie erfaßt und geglaubt hatten, die Lieblingshoffnung, welche sie seit drei Jahren gehegt, an deren Fehlschlagen sie je länger, je weniger einen Zweifel zugelaßen hatten. Dadurch waren sie unglücklich geworden, und der HErr findet sie bei Seiner Begegnung so traurig V. 17. An der Art und Weise, wie sie ihr Glück verloren hatten, können wir sofort erkennen, wie sie es alleine wieder finden konnten. Sollten sie wieder glücklich und fröhlich werden, wie zuvor, so müßen sie JEsum wieder finden, Ihn wieder sehen, wieder hören, wieder mit Ihm wandeln, Ihn wieder als Den erkennen, der Er ihnen drei Jahre lang gewesen war. Achtet der Textgeschichte, meine Brüder, ob dieß nicht wirklich der Weg war, auf dem sie wieder glücklich und fröhlich wurden. Schon als der HErr ihnen in verhüllter Gestalt nahte, als Er nur anfieng, von Sich Selbst mit ihnen zu reden, begann es in ihnen anders zu werden; es war dennoch ein wohlbekannter Ton, der ihr Ohr traf, und eine Stimme vernahmen sie, welche ganz anders klang, als mans im Kreiße der Jünger seit drei Tagen gewohnt war. Zwar war der vermeinte Fremdling nicht, wie die zwei Wanderer nach Emmaus meinten, der einzige, welcher die Geschichte von dem JEsus von Nazareth nicht wußte, aber er war der einzige, der eine freudige, hoffnungsvolle Ansicht von ihr hatte, der, was geschehen war, gerade so ansah, wie sie es von ihrem lieben HErrn Selbst vor Seinem Leiden vernommen hatten. Da dringen denn Seine Worte ganz wunderbar in ihre Seelen hinein: es wird licht in ihnen, Friede, Freude und fröhliches Wesen kommt wieder, ihre Herzen werden erwärmt und beginnen in neuem Leben zu brennen, − die Zukunft wird wieder die alte, wie sie vor dem Gründonnerstag gewesen, muthig und lustig geht es nun wieder vorwärts und hinein in ihr liebes lichtes Reich. Und als es nun erst gelang, den wunderbaren Prediger bei der Herberge in Emmaus zu halten, als Er sich − offenbar gerne und mit Freuden − halten ließ, mit ihnen ins Haus gieng, Sich mit ihnen zu Tische setzte, als Er aufstand und ihnen hausväterlich das Brot brach, wie früher, und nun die Schuppen von ihren Augen fielen, die wohlbekannte segnende Gebärde und die durchbohrten Hände in ihre geöffneten Augen leuchteten, als der durch Christi Predigt wieder aufgerichtete Glaube zum Schauen verklärt ward;

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/195&oldid=- (Version vom 28.8.2016)