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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Sich den Seinen so freundlich und lieblich. Seine Reden, die Er an die Jünger gerichtet hat, sind, wenn man sich lebhaft in deren Lage versetzt, wie sie von dem Herzenskündiger zu erwarten sind, sie dringen durch Mark und Bein, und doch sind sie so ganz zum Heile Seiner Zuhörer gesprochen, daß sie vor allem den Eindruck unaussprechlicher, herablaßender Liebe machen. Auch ist die Art und Weise, wie Er den beiden Wanderern Licht und Trost in die Seele gießt, man möchte sagen, so zart und so voll Rücksicht auf die ganze äußere und innere Lage derselben, daß man sie nicht bloß mit der Sorgfalt eines Hirten, sondern mit der einer frommen und weisen Mutter vergleichen könnte. Wie ein Fremdling und wie von Ferne naht Er den Traurigen, bescheidentlich erkundigt Er sich nach ihrem Leid, mächtig antwortet Er, mit den Worten strömt Er Geist und Leben in die Seelen, Er wird mit ihnen vertraut und auch sie mit Ihm, endlich segnet Er ihnen das Mahl und läßt Sich erkennen. Wie geht die himmlische Weisheit Christi, diese Lehrerin über alle Lehrer, in heiliger Berechnung stufenweise aufwärts und führt ihre Jünger behende zum volleren Lichte des Evangeliums! Wie leutselig spielt sie mit den Menschenkindern und führt also erbarmungsvoll Männer wie die Jugend zum ewigen Leben an! So ist immer und auch jetzt noch die Weise des HErrn. So naht Er dem Menschen zuerst in der heiligen Taufe; Er naht ihm in diesem, Seinem Sakramente persönlich, ehe noch der unmündige Säugling das persönliche Nahen seines Gottes zu faßen vermag. Dann naht Er in heiliger Lehre und legt ihm darin alle die Güte und Treue aus, die Er ihm in seiner Taufe bewiesen. Hat der Schüler im Unterrichte seines HErrn Treue und Gnade erkannt, brennt ihm sein Herz vor Lieb und Andacht, dann bricht Er ihm das Brot des Abendmahles. Und ist die Spanne Zeit vorüber, dann bricht Er dem erlösten Sünder vor den erstaunten, wonnetrunkenen Augen das Brot der Ewigkeit. Achten wir Seines Thuns und überlaßen wir uns Seiner Führung: es ist nie einer zu Schanden worden, der sich zum Hirten und Bischof Seiner Seelen bekehrt hat und dem Lamme nachgefolgt ist, wie es vorangieng.

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 Einen lieblichen Fortschritt und Stufengang finden wir im Benehmen JEsu, und eben ein solcher zeigt sich in dem Inhalt Seiner zu den emmauntischen Jüngern gesprochenen Worte. Erst zeigt Er ihnen die Notwendigkeit Seiner Leiden, dann zeigt Er ihnen die Nothwendigkeit, durch Leiden und Sterben zur Auferstehung hindurchzudringen, dann zeigt Er ihnen − und Seine nachfolgende Offenbarung unter dem Brotbrechen gab der Lehre Seiner Lippen den vollen Nachdruck, − Er zeigte ihnen, wie die Auferstehung selbst schon ein Eintritt ist in die ewige Herrlichkeit. Das alles sagte Er ihnen unter Beziehung auf die Weißagung des alten Testamentes, Er legte ihnen alle Schriften aus, die von Ihm gesagt waren und beweist ihnen also, daß nur ihre Thorheit und ihr träges Herz die Schuld davon getragen, daß sie in ein solches Trauern versunken waren? daß munterer Glaube an Gottes schon früher ausgelegte Verheißungen ihnen über alle Anfechtung der letzten Tage hätte weghelfen können. Wer diesem Gespräche Christi beigewohnt hätte! Es ist eine thörichte Rede und unnütz, sie zu sagen, aber gewis, das Leben dürften wir wohl darum geben, wenn es uns einen solchen Emmausgang erkaufen könnte. „Er legte alle Schriften aus, die von Ihm gesagt waren.“ Das mag geklungen haben! Welch eine Schriftauslegung wird das gewesen sein! Als die Jünger die Reden JEsu von der Notwendigkeit Seiner Leiden hörten, fiel ihnen wohl wieder ein, was sie in den Tagen Seines Fleisches über denselben Gegenstand von Ihm vernommen hatten: alle entschlafenen Erinnerungen erwachten wieder, ihr voriges Leben kam wieder zu Werth und Achtung. Als sie von der Auferstehung hörten und daß sie nothwendig gewesen, wenn Er zur Herrlichkeit eingehen sollte, wie werden sie da an die Botschaft der Frauen gedacht haben, und wie wird ihr Glaube an die Auferstehung in ihnen so schnell herangewachsen sein! Und als sie vernahmen und merkten, daß die Auferstehung bereits der Eingang in die Herrlichkeit war, welch eine Freude wird sie überwallt haben! Also war ihr geliebter HErr und Meister bereits in der Herrlichkeit! Da wird sich in ihnen das Verlangen, Ihn zu sehen, wie Ihn die Weiber am Morgen gesehen, geregt haben, vielleicht durchzuckten sie auch Ahnungen in Betreff Deßen, der da redete. Ewig unvergeßliche Stunden durchlebten die Jünger, Stunden, deren Andenken auch der heilige Geist werth geachtet hat, es der Gemeine im geschriebenen Worte für immer zu bewahren. Die Schrift, der Zusammenhang des Reiches Gottes mußte damals klar vor ihrem Geiste stehen, und in diesem lautern,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/198&oldid=- (Version vom 28.8.2016)