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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und wärs Wunder, wenn die Frommen, als auch zu den Geschlechtern der Erde gehörig, ebenfalls miteinstimmten in das allgemeine Heulen und Wehklagen? Wenn die Sonne, der Mond, die Sterne, die Kräfte des Himmels, das Meer und seine Waßerwogen sich bewegen, brausen und ihrem Ende zueilen, ists doch in der That nur ein Wunder, wenn nicht alle Menschen gleichfalls jammervoll bewegt sind, wenn etliche vom allgemeinen Heulen ausgenommen sind! Aber eben das Wunder wird geschehen. Der da spricht: „Wenn dieses anfähet zu geschehen, so sehet auf und hebet eure Häupter auf, darum daß sich eure Erlösung nahet“, befiehlt in diesen Worten nicht allein, sondern er weißagt und verheißet auch. Er ist aber mächtig und treu genug, was Er gesagt hat, zu thun. ER wird verleihen, daß Seine Heiligen im allgemeinen Verzagen und Verschmachten fröhlich stehen und in all dem Grausen, welches die Natur ergreifen wird, den ewigen Sommer können nahen sehen. Er wird an ihnen und in ihnen beweisen, daß Er in der Rede nicht gefehlt hat, da Er die Schrecken des Endes dem Keimen und Knospen des schönen Frühlings verglich. Er wird es thun − denn nicht bloß Schrecken, sondern auch Gnaden werden vor Ihm hergehen, wenn Er kommt, und der Sinn und Muth Seiner Auserwählten, ihr seliger Widerspruch gegen all den Jammer der vergehenden Welt, wird dann der größte Triumph Seiner Macht und das größte Wunder vor Seinem Kommen sein.


 Ich kenne das Hohnlächeln derer, welche nicht begreifen können, wie man im Ernst von einem Ende der Welt, von einer Aenderung des jetzigen Zustandes der Menschheit, von völliger Scheidung des Guten und Bösen reden kann. Ich spüre aber auch, daß, was ich geredet habe, aus dem Munde des ewigen Königs Christus genommen und Ihm nachgesprochen ist. Ich warte auch nicht allein des Endes, von dem ich rede, sondern des haben gewartet alle entschlafenen Christen und warten sein noch, des wartet auch die ganze Kirche Gottes auf Erden. Bin ich, indem ich dies bezeuge, ein phantastischer Schwärmer, so ist nicht minder die Kirche Gottes eine Schwärmerin, die im heiligsten Ernste von dem Kommen ihres Bräutigams und ihrer ewigen Hochzeitfreude singt und sagt. Ja, schwärmt sie, die Braut, so hat sies nur von Ihm, dem ewigen Bräutigam selber, so mache man nur Ihm selber den Vorwurf eitler Schwärmerei, wenn man sich getraut. Er hat nicht bloß am Dienstag seiner Leidenswoche, am Tage, da er sein Predigtamt beschloßen hat, mit Worten, die wir aus Unserm Texte lernen, die Zeichen und Schrecken des Endes beschrieben; Er hat in der Nacht vor Seinem Tode gegenüber dem versammelten hohen Rathe der Juden sich unter einem heiligen Eide als den Christ, den Sohn des lebendigen Gottes bekannt, und in derselben Stunde der tiefsten Demüthigung und Schmach, noch in einem Athem mit dem Eide den ungerechten Richtern, vor denen Er stand, zugerufen: „Von nun an wirds geschehen, daß Ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels.“ Dem läßt sich alles nachsagen: Er heißt Amen. Wer nachsagt, was Er zuvor gesprochen, der wagt nichts; nichts wagen würde, wer zur Behauptung der Worte, die Christus gesprochen hat, die größte Wette eingienge, Seel und Seligkeit aufs Spiel setzte. Aber freilich, es ziemt ein beßerer Beweis als Wetten denen, die bereits die gütigen Kräfte der zukünftigen Welt, des gelobten und ersehnten Landes schmecken. Nicht aufs Spiel setzen wir erst die Wahrhaftigkeit jener Welt: sondern unser Herz ist schon daheim bei Dem, der da kommt im Namen des HErrn, und mit der Zuversicht des ruhigen, unentreißbaren Besitzes jener Welt sagen wir: Es kommt ein Ende, − und anders wirds werden mit der Menschheit: eine Scheidung wird geschehen; heulen, verschmachten, zagen, verzagen, verzweifeln werden die Geschlechter der Erde; Haupt aufheben, aufsehen, Frühling feiern, ewig vom Wirrwarr der Welt erlöst sein − werden alle Kinder Gottes. Solche Wirkung ist schon dem Anfang des Endes zugesprochen, und das Ende selbst wird diese Wirkung vollenden.

 Eine gewisse Zuversicht spreche ich aus, aber ich ruhe dabei auch auf gewissem Grunde. Nicht auf Ahnungen und Weißagungen meiner Seele, nicht auf Schlüßen einer von Gott entfremdeten Vernunft, nicht auf dem Ansehen menschlicher Zeugnisse ruhe ich: Jesu hab ich nachgesprochen, darum bin ich ruhig. Und Er hat seine Worte nicht bloß gesprochen, sondern auch bekräftigt und mit einem gewissen Pfand und Zeichen besigelt, so daß auch meine Ruhe bekräftigt und besigelt ist. − In dem eilenden Wirbel der Vergänglichkeit,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 010. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/21&oldid=- (Version vom 14.8.2016)