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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

haben die Jünger und die heiligen Frauen Schmerz und Angst, bis ihnen in der Auferstehung der Sohn aufs neue gegeben, das Kind aufs neue geboren ist, welches die Freude Himmels und der Erde ist. Wie die Traurigkeit einer Gebärerin nicht eine in den Tod versinkende, sondern eine lebengebende, mit ängstlicher Hast zu einem herrlichen Ziele fortschreitende zu sein pflegt; so war die Traurigkeit der Jünger, so schwer sie auch von ihnen empfunden wurde, doch in der Wahrheit und nach dem Worte des HErrn eine solche, die nicht im Tode endigen sollte, Ahnung und Hoffnung sollte durch des HErrn Wort, welches Er von dem gebärenden Weibe sprach, in sie gebracht werden. Und wie der Schmerz einer Gebärerin alsbald in Freude verwandelt wird, so bald sie den fröhlichen Anblick ihres Kindes hat, wie da plötzlich, fast ohne Uebergang Traurigkeit und Freude wechseln; so sollte sich der Jünger Angst und Traurigkeit schnell, plötzlich, herrlich in Freude verkehren, sobald sie den aus dem Tode neugeborenen Christus wieder hatten. Die Osterfreude brach aus dem Grabe des Auferstandenen mit unverhoffter Kraft hervor und sättigte die trauernde Gemeinde Christi mit Wollust wie mit einem Strom.

 Und diese Lust und Osterfreude hat vom HErrn eine Verheißung, daß sie unvergänglich und unsterblich sein soll. „Eure Freude soll niemand von euch nehmen,“ spricht Er. Von den Freuden der Welt sagt ein Heiliger Gottes, sie glichen einem Lichte etwa von Wachs oder Talg, das nur lebt, indem es sich verzehrt, und endlich mit üblem Dampf verlischt. Und wie wahr ist das! Aber so ist die Osterfreude nicht, sie verbraucht sich nicht und verdampft nicht, sie ist eine bleibende und unaufhörliche. Die Osterfreude kam durch das Wiedersehen JEsu und man konnte drum denken, sie könne auch nur durch das Sehen JEsu erhalten werden, sie müße aufhören, wenn Sich Christus durch Seinen Gang zum Vater, d. i. durch Seine Himmelfahrt den Augen der Seinen entziehen wird. Aber so zu denken hieße falsch denken. Die Osterfreude hieng freilich mit dem Sehen JEsu zusammen, weil im Sehen der Beweis lag, daß Er lebe, aber sie war keine Freude, die im Sehen bestand; sie bestand in der Gewisheit des Lebens Christi. Als der HErr nicht mehr gesehen werden konnte, weil Er im Grabe lag, waren die Jünger freilich traurig, denn der HErr war todt. Aber als Er vor ihren Augen gen Himmel fuhr und eine Wolke Ihn vor ihren Augen wegnahm, war Er ja nicht todt, im Gegentheil bestieg Er den Thron des ewigen Lebens und wie ganz lebendig Er war, wie Ihm der Vater alle Macht und Gewalt gegeben hatte im Himmel und auf Erden, wie Er, obschon unsichtbar, mitten unter ihnen blieb und wirkte, wie Er Himmel und Erde mit Seiner heiligen und mächtigen Gegenwart erfüllte, das erfuhren sie je länger, je mehr. Er lebte − und was ihnen entzogen wurde, war nur das Schauen, und das nicht auf immer, da ja heilige Engel gleich nach Seiner Himmelfahrt von Seiner sichtbaren Wiederkunft predigten. Darum hebt die Himmelfahrt des HErrn die Osterfreude mit nichten auf. Die Freude blieb und zwar um so reger, lebendiger und schäftiger, als man die sichtbare Gegenwart des HErrn zu erwarten hatte und nun das ganze Leben der Jünger und aller Seiner Heiligen eine festliche Bereitung für den Tag Seiner sichtbaren Wiederkunft geworden war. Voll der Gewisheit Seines Lebens, voller Freude über die Beweise Seines Lebens, voll Sehnsucht, Ihn wiederzusehen, − voll bräutlichen, seligen Wartens wurden die Jünger durch die Auffahrt und den Hingang des HErrn.

 Und da gieng denn auch das Wort in Erfüllung: „An demselbigen Tage werdet ihr Mich nichts fragen.“ Als der HErr in der Nacht, da Er verrathen ward, jene Worte sprach, welche am Eingang unsers Textes stehen und den Jüngern so räthselhaft klangen, waren sie, wie wir gesehen haben, voll Fragens. Am Tage Seiner Auferstehung und Seiner Himmelfahrt verstummten alle diese Fragen, es wurde ihnen klar „das Kleine“ der Trauer, das Kleine vor der Trauer und der Hingang zum Vater. Sie fragten nun darüber nichts mehr. Ihr eigenes Leben und das des HErrn, Seine Zwecke und was sie in der Welt zu schaffen und zu thun hätten, das war ihnen nun alles im Licht. Die Osterfreude brachte ihnen Licht und Klarheit, − und dieß Licht, diese Klarheit nahm in dem Maße zu, als sie immer näher zum heiligen Pfingsten giengen, wo sie den Geist empfiengen, der sie in alle Wahrheit leiten sollte und ihnen auch die Fragen beantworten, die sie an den HErrn nicht gethan und von denen Er auch in Seinen Worten: „ihr werdet Mich nichts fragen“ nicht geredet

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/215&oldid=- (Version vom 4.9.2016)