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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Erlösung, des Geistes Heiligung. Eins folgt auf das andere, eines begränzt das andere. Ehe die Welt geschaffen war, fiel sie nicht, geschweige daß sie wieder versöhnt und erlöst werden konnte; und ehe sie erlöst war, konnte sie nicht geheiligt und vollendet werden, denn die Heiligung und Vollendung geschieht durch das Wort von der Versöhnung und Erlösung. Erst mußte die Last des Fluches von uns weggenommen sein, ehe wir zu Gottes Bild und zu ewigem Leben erneut werden konnten. So wie aber das große Werk der Versöhnung und Erlösung vollbracht war, zögerte die fernere Hilfe und Verheißung nicht. Der Sohn Gottes hatte das Werk der Erlösung auf Sich genommen; zur Zeit, da Er unser Evangelium sprach, war Er an den Schluß Seiner großen Aufgabe getreten; noch vier und zwanzig Stunden und das große: „Es ist vollbracht“ war gesprochen, und die Bahn zu Seiner triumphirenden Heimfahrt eröffnet. Keine Stunde länger, als es erforderlich und nöthig war, blieb Er auf Erden, − und mit Seiner Rückkehr tritt die neue Zeit des heiligen Geistes ein. Angekommen im Himmel, auf dem Thron der Ehre, sendet der HErr den Geist, der im Worte den Strom des Segens, welchen Christus erworben hatte, über die Welt ergießt. Vorher konnte es nicht geschehen, wie die Worte des Evangeliums lauten: „So Ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch.“

 Die Jünger hätten freilich dem HErrn sagen können: „O HErr, wir wollen keinen Tröster, keinen Stellvertreter. Bleibe Du Selbst bei uns, so haben wir alles, was wir wünschen.“ Aber eine solche Einrede wäre unstatthaft gewesen. Der HErr war nicht Mensch geworden, um nur allezeit mit den Seinen auf Erden zu wandeln. Für verklärte Leiber der Auferstehung ist die noch mit Sünde und Jammer bedeckte Erde kein Aufenthalt; geschweige für den verklärten Leib JEsu, der in der Verbindung seiner auserwählten Seele mit der Gottheit eine große, ewige Bestimmung bekommen hatte und ein Tempel der höchsten Offenbarungen Gottes im ewigen Reiche sein und werden sollte. Die Verklärung JEsu brachte Himmelfahrt, eine Auffahrt und Erhebung über alle Himmel, auf den Thron des Vaters mit sich, und dazu eine ganz andere als bloß leiblich abgegränzte Gegenwart auf Erden und in der Gemeine. Der HErr sollte und wollte auch nach Seiner Auffahrt bei Seiner Gemeine bleiben, und zwar auch dem Leibe nach, aber nicht wie in der Zeit Seiner Erniedrigung, sondern auf eine weit herrlichere und erhabenere Weise. Ich erinnere euch nur an die auch leibliche Gegenwart unseres HErrn JEsus im Sacrament des Altars. Gerade wenn diese herrlichere und erhabenere Gegenwart JEsu, von der Er Selbst gesagt hat: „Siehe Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende,“ eintreten sollte, mußte jene irdische Gegenwart im Stande der Erniedrigung aufhören. Dazu kam ja noch, daß nicht allein des Vaters und des Sohnes, sondern auch des heiligen Geistes Gnade und Erbarmung in der Zeit erscheinen sollte. Nachdem des Sohnes Herrlichkeit erschienen war, mußte auch die ewige Kraft und Gottheit des heiligen Geistes offenbart werden und Seine tiefinnige Gemeinschaft und Einheit mit dem Vater und dem Sohne. Schöpfung − Erlösung − Heiligung, ein dreifaches, innerlich völlig zusammenhangendes, wenn ihrs recht verstehen wollet, ein einiges Werk des dreimal Heiligen sollte vollführt werden. Ein Werk und doch dreifach, gleichwie ein Gott ist und doch drei Personen, sollte also vollendet werden, daß eine jede von den drei Personen insonderheit erkannt würde, der Vater in der Schöpfung, der Sohn in der Erlösung, der Geist in der Heiligung. Gleichwie der Vater nicht das Werk des Sohnes vollbrachte, und doch auch in diesem Werke mit dem Geiste völlig einig war, so war der Sohn mit dem Geiste völlig einig zur Heiligung und ist es noch, aber Er vollbrachte und vollbringt nicht das Werk der Heiligung, sondern der Geist vollbringt Sein Werk. So wenig dieß Werk der Heiligung vollzogen werden konnte, ehe die Welt erlöst war; so wenig konnte es nach der Erlösung vollzogen werden, wenn der heilige Geist nicht, von dem Vater und Sohne gesendet, kam es zu vollziehen. Der Weggang JEsu und das Kommen des Trösters war deshalb der Menschheit zu ihrer Heiligung und Vollendung nothwendig und erst dadurch wurde die Ehre Gottes und das Heil der Menschen völlig.

 Der HErr nennt den heiligen Geist, den Er senden will, mit einem besonders lieblichen Namen, welcher ebenso deßen göttliche Verbindung mit JEsu, als Seine Freundlichkeit gegen die erlösten Menschen ausdrückt. Er nennt Ihn einen Tröster, einen Vertreter Seiner unsichtbaren Person und einen Beistand

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/220&oldid=- (Version vom 4.9.2016)