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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

welcher die Jünger fähig macht, das gewobene Priestergewand des Verdienstes Christi zu ergreifen und anzuziehen, in welchem allein man vor Gott erscheinen darf, um in JEsu Namen zu beten. Nur wer wirklich mit lebendigem Glauben im Verdienste Christi ruht, welchem es zur unumstößlichen Gewisheit und Zuversicht geworden ist, daß Christus an seiner Stelle Sünde, Tod und Teufel überwunden, Leben und Gnade ans Licht gebracht habe, nur wer im heiligen Geiste vor aller Welt bezeugen kann, daß er durch Christum mit Gott versöhnt sei, daß Christus ewig herrsche und lebe und mit Christo er, daß er mit Christo ein Miterbe der ewigen Güter sei und einen offenen Zugang zu dem Vater habe: nur der ist fähig in JEsu Namen zu beten. Es scheint damit viel zum Gebet in JEsu Namen gefordert zu sein; aber es scheint doch nur gefordert, weil ja nichts gefordert wird, was Gott nicht JEsu Jüngern gerne gibt, was Er nicht den Jüngern und Aposteln nach Seiner Auffahrt gegeben hätte. Es scheint damit viel gefordert und man kann auch sagen, es sei viel, denn es ist ja ein großer Reichtum des innern Lebens, welcher damit angedeutet ist. Aber er ist auch allen Gläubigen beigelegt, und nur nicht jeder erweckt in sich und gebraucht die Gabe, welche ihm Gott geschenkt hat. Vor dem schüchternen Gläubigen scheint mein öfter gesprochenes „Nur der, nur der − darf in JEsu Namen beten“ wie eine Verweigerung des hohen Glückes zu klingen, das im Gebet in JEsu Namen liegt. Aber ich will es am Ende auch nicht an Ermunterung an redliche Gläubige fehlen laßen, ihre Würde zu erkennen und ihr heiliges Vorrecht trotz aller Schwachheit auszuüben. Aber freilich, zu leicht darf man auch wieder die Erlaubnis zum Gebet in JEsu Namen nicht machen. Nur der redliche Jünger kann ermuntert, der falsche, der eingebildete Jünger muß von dem Dienst an dem ewigen Altare JEsu abgewiesen werden. Wer ohne redlichen, wahrhaftigen Glauben in JEsu Namen zu beten wagen würde, könnte zur Antwort eine Stimme aus dem Allerheiligsten vernehmen, wie die: „Geht weg von Mir, ihr Verfluchten, Ich habe euch nie erkannt.“ Der Vater könnte Seinen Sohn durch falsche Berufung auf Deßen Namen verlästert, der Sohn den Vater verhöhnt und Sein Blut gemisbraucht sehen, der Geist der Gnaden über die ungeheure Lüge betrübt und entrüstet werden. Darum seufze, rufe, schreie, bete − aber vermiß dich nicht, ohne Glauben in JEsu Namen zu beten. Glaubst du, so bete, − du wirst davon selige Erfahrungen bekommen; du wirst dich freuen, und deine Freude wird niemand von dir nehmen.


 Die Freude eines solchen Beters wird hienieden schon so vollkommen werden, als es möglich ist in diesem armen Leben. Sie wird vollkommen werden durch Erhörung. „Wahrlich, wahrlich, spricht Christus, Ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in Meinem Namen: so wird Ers euch geben. Bisher habt ihr nichts gebeten in Meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei.“ − Es gibt eine verschiedene Erhörung des Gebetes; sowie das Gebet selbst verschieden ist. Ein Christ betet, er mag in einer Lage sein, in welcher es auch sei; wie das Leben nicht vom Athem, so wird das Christentum nicht vom Gebete geschieden. Es ist die ordentliche Gnadengabe aller Christen, daß siebeten. Aber es gibt neben der ordentlichen Gnadengabe des Gebetes auch eine außerordentliche, wie sie die heiligen Apostel hatten und übten. Bei der ordentlichen Gnadengabe des Gebetes ist keine besondere Weißagung wörtlicher Erhörung: Ergebung in Gottes Willen ist die größte Tugend; Zeit, Ort und Weise der Erhörung werden ganz in des HErrn Wohlgefallen gestellt. Bei der außerordentlichen Gnadengabe des Gebetes aber ist der Beter der wörtlichen Erhörung vollkommen gewis; er genießt eine besondere Leitung des heiligen Geistes für die Fälle, in welchen, und für die Dinge, um welche er beten soll; er redet mit der Zuversicht eines Propheten und übt betend eine Macht aus, welche an jene heilige Macht des ersten und des zweiten Adams über die Creaturen erinnert. Zunächst der außerordentlichen Gabe des Gebetes in JEsu Namen ist wohl die Verheißung gegeben, die wir in unserm Texte lesen: „Bittet, so werdet ihr nehmen;“ das zeigt uns ja der Erfolg, den wir in der Geschichte der Apostel so vielfach lesen. Die außerordentliche Gabe des Gebetes ist nun allerdings auch jetzt noch nicht zu Ende, sie wird dauern bis ans Ende. Gott erweckt sie insonderheit und wird sie erwecken und zu Kraft und Leben bringen, wo es die Gründung und Unterhaltung Seines Reiches gilt, − und wenn die Augen der Gläubigen sie suchen, werden sie dieselbe öfter finden auch in unserm armen, gewohnten

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/228&oldid=- (Version vom 4.9.2016)