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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Befehl, sondern zur Verheißung, von der wir alsbald zu reden haben.


 Die Predigt hat in unserm Texte gestrengen Befehl, es ist aber auch eine gedoppelte Weißagung, eine Verheißung und eine Drohung mit ihr verbunden. Dem Glauben gehört die Verheißung und dem Unglauben an die Predigt die Drohung. Die Verheißung, welche der Glaube empfängt, ist wieder doppelt, sie umfaßt Zeit und Ewigkeit; die Drohung hingegen ist einfach, erstreckt sich nur auf die Ewigkeit. In der Ewigkeit wiegt sich Heil und Fluch auf, in der Zeit aber wiegt die Gnade den Fluch auf, darum daß uns in Christo JEsu die Zeit zur Gnadenfrist umgewandelt ist. So rühmt sich im Ganzen die Barmherzigkeit wider das Gericht.

 Wenn wir nun die Segnungen und den Fluch, welche unser Evangelium enthält, genauer betrachten wollen, wird es jeden Falls das Beste sein, die Ordnung einzuhalten, welche der Text selbst einhält. Das geschieht, wenn wir zuerst die Segnungen und den Fluch aufzählen, welche jenseits auf Glauben und Unglauben folgen, und dann erst die zeitlichen Verheißungen erwähnen, die der HErr Seiner Kirche gab.

 „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden,“ das ist die ewige Verheißung. „Wer nicht glaubt, der wird verdammt werden,“ das ist der Fluch. Seligkeit und Verdammnis eröffnet sich jenseits, und ihnen entsprechend zwei zeitliche Zustände, welche ganz von der Aufnahme der Predigt abhangen, nemlich Glaube und Unglaube. Zwiespältig, zweitheilig ist die Zeit, − zwiespältig die Ewigkeit. Der HErr läßt keinen Raum und keine Bleibstätte zwischen Glauben und Unglauben, und eben so wenig zwischen Seligkeit und Fluch. Nichts ist zwischen Verheißung und Drohung; Sein Wort wie Sein Lohn sind nur zweitheilig. Scheint nun dieß manchem ein schweres oder schreckendes Entweder-Oder; so kann man doch nicht sagen, daß es schwer ist, die rechte Wahl zu treffen. Wenn ich die Wahl habe nur zwischen Leben und Tod, so kann ich erschrecken, weil ich, indem ich nur zwischen zweien zu wählen habe, so nahe am Tode hinstreiche; aber ich muß mich doch auch freuen, daß ich das Bestmögliche, was ich wünschen kann, so nahe habe, so gar nahe, daß, wenn ich den Tod nicht will, ich gar nichts weiter nehmen kann als das Leben. So ist es hier. Ich erschrecke über die Wahl zwischen Seligkeit und Verdammnis, die ich habe, denn auch wenn ich recht wähle, streife ich hart an der Verdammnis vorbei. Aber ich muß mich doch auch freuen, denn da ich Verdammnis nicht will, kann ich nur das Leben wählen. Und dieß zu erlangen, ist der Weg geebnet, denn es bedarf weiter nichts, als Glauben. Glaube an die angenehme Botschaft der Apostel, Annahme des seligen Bades der Wiedergeburt, das ist alles in allem, was als Bedingung des ewigen Lebens genannt wird, wenn es anders den Namen einer Bedingung führen darf. Der HErr hätte das köstliche Kleinod des ewigen Lebens an ganz andere Bedingungen knüpfen können, ohne daß es deshalb dem Menschen hätte brauchen gestattet zu werden, die himmlische Gabe als Verdienst seiner Pflichttreue sich anzueignen. Aber Er wollte nicht. Gleichwie ein Wohlthäter, der vor einem Bettler vorübergeht, von diesem nichts verlangt, als Anerkennung seines Vermögens und guten Willens und Ausstreckung der bedürftigen Hand; so will Gott auch das ewige Leben den Menschen als himmlisches Almosen aus freier Gnade zuertheilen und begehrt nichts als Glauben an Seine Macht und Seinen treuen Willen, zu geben und selig zu machen. Ich wüßte in der That nicht, meine Freunde, wie der HErr die Erde gnädiger, erbarmender hätte verlaßen sollen. Er will keinen verdammt wißen als den, welcher im Unglauben dahin stirbt; dagegen will Er jeden selig machen, der an Sein Wort glaubt. Ist nicht Sein letztes Wort das allerbeste? Hätte Er die Seligkeit näher, die Verdammnis als leichter vermeidbar bezeichnen und zeigen können? Ist nicht zur Seligkeit so sanft und süß gelockt als möglich, nicht die Drohung in möglichst linde Worte gefaßt? Was könnte wohl schonender gesagt sein, als: „Wer nicht glaubt, soll verdammt werden“? Man sollte ja denken, an Ihn, der für uns starb und auferstand, der zu unserm Heile gen Himmel fuhr, müßte die ganze Welt mit größter Lust glauben. Man sollte denken, da wir alle Sünder sind, würden wir die angebotene Hilfe und den eröffneten Weg, zu entfliehen alle dem, das im Worte Verdammnis zusammengefaßt ist, mit größtem Dank und behendester Eile ergreifen. Kann man denn die Welt häßlicher schildern, als mit

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/234&oldid=- (Version vom 4.9.2016)