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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Das letzte Schelten des HErrn, Sein letzter Befehl, Seine letzte Verheißung, Seine zuletzt verheißenen Gaben, es macht doch alles zusammen in der That nur den Eindruck der größten Liebe. Wie am Kreuze, so bei Seinem völligen Hingang ist der HErr ganz einer, Er will nichts als das Heil der Welt. Dieser Eindruck, meine Freunde, wird vollkommen, wenn man einen Zug herzunimmt, den zwar unser Evangelium nicht erzählt, den wir aber im letzten Capitel des Evangeliums Lucä, V. 50, 51, aufbewahrt finden. Da heißt es: „Der HErr führte Seine Jünger hinaus gen Bethanien und hub die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, da Er sie segnete, schied Er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.“ Zum Segen der Welt hat Er gelebt, zu ihrem Segen ist Er gestorben und auferstanden, und segnende Gaben, Segen, nichts als Segen ist es, was Er hinterläßt. Hohenpriesterlich, segensreich ist Sein Scheiden. Die Segensgebärde ist die letzte, welche die Erde von Ihm sah, und segnendes Gebet für sie ist es, was Er mit Sich in den Himmel nahm. Nicht so an Seine eigene Herrlichkeit dachte Er bei Seiner Auffahrt, als an die Seligkeit der Menschen. Wie Er im zeitlichen Leben für Sein Volk gelebt hatte, so lebte Er für dasselbe auch nach Seiner Auferstehung, so lebt Er ewig für sie und bittet für sie. Indem Er nicht das Seine suchte, gewann Er alle Gewalt im Himmel und auf Erden, auf daß Er Himmel und Erde zum Besten Seiner Menschen regieren könnte. Er Selbst wurde ewig groß und reich, und Himmel und Erde haben ihrer Seits an Ihm den größten Reichtum gewonnen.


 Der Ausgang des HErrn aus der Welt war also Segen und Sein Eingang in den Himmel wird uns von Marcus selbst genauer beschrieben.

 Der HErr war aufgehaben, leiblich aufgehaben. Er sollte und wollte von nun an mehr und kräftiger bei den Seinigen sein, als zuvor; das Wort: „Siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende,“ sollte wahr werden zu Seinem ewigen Preis und zum Heil und Preis Seines wahrhaftigen Volkes Israel. Aber Er wollte und sollte auch wahrhaftig aufgehaben, Seine sichtbare Gegenwart sollte von der Erde wahrhaftig weggenommen werden. Seine göttlich-menschliche Allgegenwart und Seine Erhebung zu einem besondern Ort der Ehre sind beide gleich wahr und widerstreiten sich nicht.

 Der HErr wird leiblich aufgehaben gen Himmel. Es ist also der Himmel ein wahrhaftiger Ort für verklärte Leiber, nicht bloß ein seliger Zustand Leibes und der Seele. Gen Himmel und zum Himmel und in den Himmel auf fuhr der HErr. Zwar wißen wir wohl, daß Er auch aufgefahren ist über alle Himmel, aber das schließt mit nichten aus, daß Er in der Stadt der erlösten Seelen und heiligen Engel, daß Er in dem himmlischen Jerusalem Seinen Ehrenthron habe, wo Ihn Seine Seligen von Ewigkeit zu Ewigkeit schauen. Wie Seine heilige Seele im Tode den Weg ins schöne Paradies gegangen und in diesem seligen Ort angelangt ist, so betritt nun Leib und Seele zusammen den Himmelsweg und beide zusammen gelangen auch fröhlich dahin, zu unserm Trost. Damit wird uns unser ewiges Heimathland gezeigt. Es ist nun kein Traum mehr, wenn wir behaupten, unser Weg gehe aufwärts; nicht vergebens sehen unsre Augen betend und verlangend hinauf, nicht vergebens heben wir unsere Hände zum Himmel empor. Wir thun es mit Recht; dorthin, Christo nach, geht unser Weg für Leib und Seele, dort ist unsre ewige Wohnung, unser Wandel. Heute werden wir des gewis.

 Der HErr sitzt zur rechten Hand Gottes. Ganz richtig erkennen wir in diesem Ausdruck eine Erklärung der Herrlichkeit Christi, Seiner Theilnahme an Gottes ewigem Regimente, Seines Eintritts in den völligen Besitz der göttlichen Eigenschaften auch für Seine Menschheit. Er trat ein ins ewige Reich; Er ergriff die Zügel der Welt und regiert alles zu unsern Gunsten, zur Ausbreitung Seines seligmachenden Ruhmes, des Evangeliums, bis Er dem Vater das ganze Reich gewonnen, alle erlösete Seelen herbeigeführt haben wird und dann dem Vater das Reich und alle, die durch ihn geheiligt wurden, wieder übergeben kann, und dann aufhört das Werk der Erlösung und der Heiligung, und Gottes Preis und Ehre völlig, Gott Selbst alles in allem wird. Heute wird Er inthronisirt, heute wird Er zum Könige Gottes eingesetzt auf dem heiligen Berge Zion, zum ewigen Könige, denn auch wenn das Reich dem Vater wieder übergeben ist, wird Er nicht aufhören König zu sein; Er wird nur nicht mehr König sein im Sammeln des Reiches, in Ausbreitung Seines Evangeliums; das wird ein Ende haben,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/236&oldid=- (Version vom 4.9.2016)