Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/238

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am Sonntage Exaudi.

Evang. Joh. 15, 26. − 16, 4.
26. Wenn aber der Tröster kommen wird, welchen Ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgehet; Der wird zeugen von Mir. 27. Und ihr werdet auch zeugen, denn ihr seid von Anfang bei Mir gewesen. 1. Solches habe Ich zu euch geredet, daß ihr euch nicht ärgert. 2. Sie werden euch in den Bann thun. Es kommt aber die Zeit, daß, wer euch tödtet, wird meinen, er thue Gott einen Dienst daran. 3. Und solches werden sie euch darum thun, daß sie weder Meinen Vater noch Mich erkennen. 4. Aber solches habe Ich zu euch geredet, auf daß, wenn die Zeit kommen wird, daß ihr daran gedenket, daß Ich es euch gesagt habe. Solches aber habe Ich euch von Anfang nicht gesagt, denn Ich war bei euch.

 ES ist eine alte Sitte der morgenländischen Kirche, in den öffentlichen Versammlungen der Christen während der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten die Apostelgeschichte vorzulesen. Das geschah und geschieht, wo es noch geschieht, zur vorläufigen Weißagung auf Pfingsten und die Zeit hernach. In das Thun und Leiden der Kirche Gottes nach Pfingsten soll der Blick schon voraus eröffnet werden. Denselben Blick in dieselbe Zeit gewährt uns das heutige Evangelium, indem es uns über das Zeugnis von JEsu und die Aufnahme desselben in der Welt belehrt.

 Das Zeugnis von JEsu ist nach unserm Texte ein gedoppeltes, das Zeugnis des heiligen Geistes und das Zeugnis der Apostel. „Der heilige Geist wird zeugen von Mir, und ihr werdet auch zeugen.“ Beiderlei Zeugnis ist dem Inhalt nach eins, denn es ist Zeugnis von JEsu, von Seiner Person, Seinem Amte, Seinem Werke, Seinem Reich und Seiner Kirche. Sonst, in andern Stellen, erscheint dieß einmüthige Zeugnis des Geistes und der Apostel als eins auch der Form nach: der heilige Geist zeuget durch die Apostel, ihr Zeugnis ist das des heiligen Geistes Selber. Hier aber, in unserem Texte, wird zwischen beiden ein Unterschied gesetzt, der auch in der That leicht festzuhalten ist. Was zum Zeugnis des heiligen Geistes zu rechnen ist, fällt in die Augen; erinnert euch an den brausenden Schall, welcher an Pfingsten vom Himmel fiel, an die feurigen Flammen, an das Zungenreden, an die Gabe der Weißagung, an die Wunder der Apostel, an die Eingebung der göttlichen Wahrheit u. dgl. Und eben so augenfällig ist auch, was zum eigenen menschlichen Zeugnis der Apostel gehört, nemlich was sie gehört haben, was sie gesehen haben mit ihren Augen, was sie beschauet haben, was ihre Hände betastet haben vom Worte des Lebens, mit Kurzem: das Zeugnis ihrer Sinnen von dem Auferstandenen, wie auch der HErr Selbst sagt: „Ihr werdet auch zeugen, denn ihr seid von Anfang bei Mir gewesen.“ Indes ist das göttliche und menschliche Zeugnis nicht durchaus so augenfällig unterschieden, sie begegnen einander im innersten Wesen; denn wenn die Apostel von JEsu zeugen, menschlich zeugen, so wacht über ihren Reden der heilige Geist, verhütet Irrtum, reinigt, läutert, gibt Stärkung des Gedächtnisses, verleiht heilsame Worte, − und während jeder Apostel ganz in seiner Eigentümlichkeit redet, ist er doch ganz vom Geiste durchdrungen. So wird ein und dasselbe Wort zugleich als göttlich und menschlich erkannt; erscheinend als eines, läßt es sich dennoch erkennen als zusammengefügt aus zweien − und des Gottmenschen gedoppelte, unterschiedene Natur in einer Person spiegelt sich in dem einen gedoppelten, zugleich göttlichen und menschlichen Zeugnis, in einem und demselben Wort Seiner heiligen Apostel. Alles ist göttlich und menschlich zugleich, was sie reden. Zuweilen − je nachdem eben grade die Seele erregt und empfänglich ist − ist es einem, als vernähme man in dem heiligen Worte lauterlich und allein „den

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/238&oldid=- (Version vom 4.9.2016)