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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ein Unterschied zu machen. Die einen laßen es bei der Nichtannahme des Evangeliums bewenden und gehen in stolzer, sicherer und selbsterwählter Unwißenheit dahin. Sie erkennen weder den Vater, noch den Sohn, und können deshalb keine Ueberzeugung oder Erfahrung davon haben, wie arm man ist, wenn man beide nicht erkennt.

 Andere hingegen laßen sich nicht daran genügen, von Christo selbst nichts zu wißen; sondern sie wollen auch nicht haben, daß andere etwas von dem Vater und dem Sohne kennen lernen. Sie verfahren gerade so, als wäre das Zeugnis von JEsu etwas Böses, das ein guter Mensch nicht leiden dürfte. Nur von dieser letzteren Menschenklasse redet der HErr in unserm Evangelium, denn dasselbe hat nicht den Zweck, im Allgemeinen eine Belehrung über die Aufnahme des Evangeliums zu geben, sondern von einer besondern Art von Aufnahme, von der schlechten Aufnahme spricht es, welche ohne des HErrn Weißagung den Jüngern ganz unverhofft würde gekommen sein. Die Apostelgeschichte gibt uns zu allem, was der HErr von dieser schlimmen Aufnahme sagt, die Belege und zugleich den starken Beweis, daß die Apostel, was ihnen der HErr gesagt, ganz wohl begriffen und in getreuem Andenken behalten haben. Ihretwegen hat es der HErr hier geoffenbart, auf daß sie sich nicht ärgerten, wenn es käme; und sie haben sich auch in der That nicht geärgert, als es kam.

 Die Jünger JEsu waren ohne Zweifel die rechten Juden, welche den Zweck des alten Testaments, Weißagung und Erfüllung am besten begriffen hatten; an sie mußte sich jeder rechte Jude anschließen. Wer sich an sie nicht anschloß, mußte in Bann gethan und von der Gemeinschaft des alten Bundes ausgeschloßen werden, wenn Gerechtigkeit Bann und Ausschließung handhabte. Aber wie ganz anders kam es! Die Menge der Juden gab sich nach dem fleischlichen Rechte der Mehrzahl für die wahre Kirche alten Testamentes aus und bannte die Apostel, auf daß diesen die nothwendige Aus- und Absonderung ja erleichtert würde.

 So war es, und noch weiter gieng es. Der Haß gegen Christum und die Seinigen gieng so weit, als Haß auf Erden überhaupt gehen kann. Des Haßes äußerste Grenze und volleste Betätigung ist Mord; über das Leben hinübergreifen kann kein Haß, weder im Himmel, noch in der Hölle hat der noch sterbliche Mensch eine Einwirkung; es ist genug, und übergenug, daß ihm das zeitliche Leben des Nächsten erliegen kann. So weit aber, bis zu dieser äußersten Grenze des Haßes in dieser Welt, bis zum Morde gieng man gegen die Jünger, das weißagte ihnen der HErr, − Er zeigte deutlich an, daß ihnen der Märtyrertod bevorstehe. Ach, wie abscheulich ist der Haß, der Vater des Todes, der in der Hölle wohnt! Und doch, wenn er nur aufträte, so wie er ist, in seiner völlig wahren Gestalt, daß man vor ihm fliehen könnte! Aber das ist eben der Gipfel aller Abscheulichkeit, daß die Lüge das Gewand der Wahrheit, der Haß die Gestalt des heiligen Eifers, die Synagoge den Schein der Kirche annehmen kann! Es kann kommen, daß man, während man eilend ist, Blut zu vergießen, während man in den Fluch immer mehr hineinwatet, während sich Wolken göttlichen Zornes über einem sammeln, andere glauben macht und selbst im Wahne steht, daß man ganz recht thue und Gott gefalle. „Es kommt die Zeit, spricht Christus, daß wer euch tödtet, wird meinen, er thue Gott einen Dienst daran.“ Das ist schrecklich − und wahrlich, gegenüber solchem Gräuel und Moder des Fanatismus ist das Loos der Jünger doch viel schöner, die dahin geopfert werden sollen, wie die Schlachtschafe. −

 Es ist eine traurige Enthüllung, welche uns unser Text gethan hat. Er fieng so schön an − vom Zeugnis des Geistes und der Apostel, und fährt nun so jämmerlich fort. Das herrliche Zeugnis, was folgt ihm, was hat es für Wirkung? Haß, Streit, Bann, Mord und Tod, − und davon redet der HErr im Evangelium so ruhig, als verstände sichs von selbst, als müßte es so sein! Er redet, als müßte es so sein, − und allerdings, es muß und kann und darf nicht anders sein. Die Kirche muß, so lange sie hienieden ist, streiten, leiden, sterben, und das ist es, was wir jetzt reiflicher überlegen wollen.


 Wenn ihr, geliebte Brüder, ein Haus annehmet, in welchem Eltern und Kinder, Schwäher und Eidam, Schwieger und Schnur, Bruder und Bruder, oder gar fremde einander nicht verwandte Menschen zusammenleben; so müßet ihr immer zugleich annehmen, daß ein solches Haus voll Menschen nicht allezeit einig sein werde. Nehmet ihr nun statt eines Hauses eine

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/240&oldid=- (Version vom 4.9.2016)