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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

finden und zu erreichen? Ist es vielleicht für armselige Menschenkinder zu schwer, Sein habhaft zu werden? Aber wie leicht widerlegt sich das alles! Es ist nicht erschwert, im Gegentheil es ist erleichtert, es ist ganz unschwer, den Sohn und in Ihm das ewige Leben zu erlangen. Gott kennt ja, was für ein Gemächte wir sind, Er verlangt von uns im Grunde gar nichts, Er schenkt uns alles frei, den Sohn und alle Seine Güter. Er will auch gar nicht, daß wir den Sohn und Seine Gaben nur suchen, sondern Er sucht uns selber, Er bringt uns Seinen Sohn nahe, daß wir Ihn in der Weise, wie Er es haben will, leicht faßen und behalten können. Oder ists nicht so? Ist es nicht Sein Reichsgesetz, daß alle himmlischen Güter im Worte der Predigt nahen und daß wir alles das haben sollen, wovon Er uns zu hören gibt? Du hörst von Christo, da ist dir Christus nahe, da wird Er dir dargeboten. Du hörst von der Versöhnung, da wird sie dir gereicht. Du hörst vom ewigen Leben, und was du hörst, kommt zu dir im Worte selbst. Aber, sprichst du, wird denn nicht Glaube gefordert? Heißt es denn nicht: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben?“ Heißt es nicht: „Wer an den Sohn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes?“ Ist nicht die ganze Seligkeit an den Glauben gebunden, und ist nicht der Glaube eine schwere Sache, eine harte Forderung an den Menschen? Ist er nicht eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifelt an dem, das man nicht sieht? Und ist nicht Zuversicht deßen, das man nicht hat, sondern erst hofft, − zweifellose Gewisheit unsichtbarer, nur durchs Wort kundgethaner Dinge etwas, was dem Sinne des Menschen widerstrebt, was ihm geradezu unmöglich ist? Mit diesen Fragen scheint meine Versicherung, daß Gott vom Menschen gar nichts zu seiner Seligkeit verlange, freilich umgestoßen zu werden; denn es ist Glaube nöthig, um selig zu werden. Dennoch ist mir nicht bange. Ich will vielmehr zugestehen, daß Glaube nöthig ist, ich will es recht betonen, ich will mit der Schrift sprechen: „Ohne Glauben ist unmöglich Gott gefallen.“ Es ist ja auch so, so zeuget die ganze Schrift, Glaube ist unumgänglich nöthig, wenn man selig werden will. Aber, und das vergiß nicht, so nöthig der Glaube ist, vom Menschen wird er nicht gefordert, ein menschliches Erfordernis zur Seligkeit ist er nicht. Er ist eine purlautere Gottesgabe, und wenn das ist, so fragt sich nur, ob ihn Gott jedem gerne gibt oder nicht. Gibt Er ihn gern, macht Er ihn dem armen Sünder möglich, dann ist ja nicht von Erschwerung die Rede. Ein besonderer Weg zur Seligkeit ist und bleibt alsdann der Glaube, aber ein Hindernis selig zu werden, ist er so wenig, als jeder Weg ein Hindernis ist, zum Ziele zu gelangen. „Gib, was Du befiehlst, betet ein alter Lehrer, und befiehl dann was Du willst;“ und das ist völlig richtig gebetet. Gibt mir Gott den Glauben, so kann Er mir wohl befehlen, Glauben zu haben; denn es liegt dann alle Schuld nur an mir, wenn ich keinen Glauben habe, ich muß ihn nicht angenommen, ich muß ihn von mir gestoßen haben. Und so ist es auch. Die göttliche Predigt erschallt, sie wird vernommen, da regt sich der natürliche Widerstand. Zwar leuchtet alsbald ein, daß die Predigt über alle Wißenschaft der Welt ist, daß sie hehr und heilig ist: denn an wessen Herzen und Gewißen sollte sie sich so nicht beurkunden? Aber es regt sich etwas gegen sie im Innern. Die Predigt erschallt und bald wird bemerkt, daß sie kein bloßes Menschenwort ist, daß sie nicht von abwesenden Dingen redet, daß ihr Inhalt bei ihr ist, mit ihr kommt, daß Kräfte, die überwindend sind, mit ihr dem Herzen nahen, daß sie das Wort eines Stärkeren ist, das den Palast des Starken brechen, ihn einnehmen, den Raub austheilen und ein neues im Innern schaffen kann. Man merkt, daß man leicht überwunden werden könnte. Wenn nun in solchem Fall der Mensch auf den Widerstand seines angeborenen Verderbens nicht achtet, sondern das Wort in sich walten und wirken läßt, dann kommt er zum Glauben, aus Glauben in Glauben, aus Gnade in Gnade. Wenn er hingegen an seinem natürlichen Widerwillen Wohlgefallen trägt und böswillig ihn stärkt, sich vornimmt, das Wort nicht zuzulaßen, ihm auszuweichen, zu widerstreben: dann weicht der Geist zurück, dann kommt der Mensch nicht zum Glauben, so lange er also gesinnt und entschloßen ist. Denn Gott schenkt den Glauben trotz des natürlichen

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/254&oldid=- (Version vom 4.9.2016)