Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/255

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Widerstrebens, aber nicht trotz boshaften unnatürlichen Widerstrebens. Aufmerksame Hörer, die sich nicht entziehen, werden gläubig, ehe sie hinfahren; aber kein Mensch, der dem HErrn absichtlich, böswillig die Thür verschließt, wird Ihn eingehen sehen. − Da haben wir, meine Freunde, den Scheidepunkt. Etliche kommen zum Glauben, weil sie das Wort walten laßen; etliche kommen nicht dahin, weil sie boshaft widerstreben. Kann man nun noch sagen, daß Glauben schwer, und daß der Weg zum Leben erschwert sei? Was hält den Menschen im Zustand, in welchem er ist, was hindert ihn, erneut zu werden? Sein eigener, böswilliger Entschluß, sonst nichts. Was ist verlangt, wenn gesagt wird, du sollest das Wort hören und wirken laßen? Hörst du doch sonst dieß oder jenes Wort, das keines oder geringen oder schlechten Inhalts ist: warum willst du die wichtigste, die ansprechendste Botschaft nicht hören, nicht überlegen, nicht wirken laßen? Warum willst du dem heiligen Geiste und dem Zuge des Vaters zum Sohne widerstehen? Es ist ein Kleines, woran deine Seligkeit hanget, und das Kleine liegt ganz an dir. Dein Gericht ist in deiner Hand, du kannst wählen, ob du selig oder verdammt werden willst. Das Glauben wirkt Gott, wenn du hörst; wenn du nicht hörst, kannst du nicht gläubig werden und dein Gericht ist gerichtet.


 Da es nun in der That so leicht ist, selig zu werden; da Gott alles thun will und dem Menschen nichts befohlen ist, als hören, woher kommt es denn, daß dennoch so viele den leichten Weg verschmähen, daß sie verloren werden? Das ist das Letzte, was ich euch aus meinem Texte zu sagen habe. Laßet es nicht unbeachtet vor euern Ohren vorübergehen!

 „Das ist das Gericht, spricht unser Text, daß das Licht in die Welt kommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr, denn das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer arges thut, der haßet das Licht und kommt nicht ans Licht, auf daß seine Werke nicht gestraft werden. Wer aber die Wahrheit thut, der kommt an das Licht, daß seine Werke offenbar werden, denn sie sind in Gott gethan.“ In diesen Worten liegt die ganze Antwort auf unsere Frage.

 Das Licht, das in die Welt kommen ist, ist JEsus Christus. Die Finsternis ist der Zustand der Welt, welcher vor Christo gewöhnlich war und auch jetzt noch der gewöhnliche bei denen ist, welche von Christo nichts wißen wollen. Die Finsternis widerstreitet dem Licht und das Licht widerstreitet der Finsternis. Wenn das Licht kommt, weicht die Finsternis, und wenn die Finsternis kommt, weicht das Licht. Die beiden sind wider einander. So ist auch, ehe Christus kam, derjenige Zustand, in welchem der Mensch geboren ist, d. i. ein Zustand der Blindheit und unseliger, eigenwilliger Bosheit, wie eine allgemeine Nacht auf der Welt gelegen und es hat wenig Strafe desselben gegeben. Da kam Christus, der heilige, der gerechte Gottessohn, und Seine Person, Sein Amt, Seine Lehre, Seine Kirche, kurz alles, was Er war und hatte und that, widerstrebte dem, was gewöhnlich war. Und Er leuchtete hinaus in die Welt, das Gerücht und die Predigt von Ihm verbreitete sich überall hin. Alle Menschen wurden von dem Alten zum Neuen, von der Finsternis zum Lichte berufen. Da geschah es, wovon wir reden, die Menschen liebten die Finsternis mehr denn das Licht, und da sie hätten können erleuchtet und selig werden, erwählten sie auch ferner die Finsternis und waren mit ihren alten Zuständen zufrieden. Es wurden wohl viele vom Lichte beschienen und gezogen, aber die altgewohnte Finsternis war ihnen doch lieber, sie liebten die Finsternis mehr, als das Licht, nach leichterem oder schwererem Kampfe entschloßen sie sich zu bleiben, was und wer sie waren. Und warum das? Warum erwählten sie nicht Christum, das seligmachende Licht der Welt? Weil ihre Werke böse waren und weil der nicht ans Licht kommt, der arge Werke thut. Er kommt aber nicht ans Licht, damit seine Werke nicht gestraft werden. Es liegt im Menschen eine Trägheit nicht allein, sondern auch eine Schaam, sich zu ändern. Es will ein jeder den Ruhm haben, sich nie geändert zu haben, denn dieser Ruhm scheint einer und derselbe mit dem Ruhme zu sein, keiner Aenderung bedurft zu haben. Wer in bösen Werken herangewachsen ist, ist ein Kind der Nacht, das von den Strahlen des Lichts nicht bestrahlt werden will, weil jeder Lichtstrahl die Schwärze der nächtlichen Finsternis straft. In Christo ist keine Finsternis, sondern eitel Wahrheit, Gerechtigkeit und Friede; Ihm naht kein Sünder, ohne in sich zu fühlen, wie böse er ist, ohne erkennen zu müßen, daß er ein Urtheil wider sich habe. Das scheut, dieß

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/255&oldid=- (Version vom 4.9.2016)